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Karl Hegel an Georg Waitz, Erlangen, 21. November 1878

Theurer Freund!

In der französischen Zeitschrift Romania, Juliheft, welches aber erst im October erschienen und auf dem langsamen buchhändlerischen Wege noch nicht hier in Erlangen angekommen ist, gibt P. Meyer vorläufige Nachricht von einer Dino-Handschrift aus dem 15. Jahrhundert in der Bibliothek Ashburnham und verspricht die nähere Beschreibung derselben im nächsten Heft. P. Meyer ist bekanntlich Professor am Collège de France und lehrt Paläographie an der École deschartes. Er schreibt mir so eben auf meine Anfrage, daß er selbst die Handschrift in Ashburnham place genau untersucht habe, nachdem er die in der Magliabecchiana erst drei Wochen vorher gesehen, und daß die erste um wenigstens 50 Jahr älter sei als die letztere und, so wie er sie verglichen, nur geringe Abweichungen von dem gewöhnlichen Text im Druck der Stereotypausgabe 1 darbiete. Übrigens habe er diese ältere Handschrift nicht selbst erst entdeckt, sondern durch Isidoro del Lungo von deren Existenz Kenntniß erhalten, auf dessen Veranlassung er sie untersucht habe.

Fanfani und andere, zuletzt auch noch unser Romanist Böhmer meinten die Fälschung der Chronik am Sichersten schon durch die Sprache und den Vergleich bewiesen zu haben, worin Ausdrücke und Wendungen ankamen, die nicht früher als Mitte des XVI Jahrhunderts gebraucht worden seien. Alle ihre trefflichen Argumente sind nun auf klägliche Weise zu Boden gefallen.

Die wichtige Notiz der Romania verdient gewiß auch unter die Nachrichten des Neuen Archivs im nächsten Heft aufgenommen zu werden. Darum theile ich Ihnen mit, wiewohl ich annehmen darf, daß Sie selbst sie schon gefunden haben.

Der Druck des XV. Bandes der Städtechroniken kommt jetzt eben zum Abschluß, so daß die Ausgabe des Bandes Anfang December zu erwarten ist.2 Sie sagten in München von einer Abhandlung eines Schweizers, worin der Beweis geführt sei, daß, ich weiß nicht, welche Ministerialen im Range selbst über den Rittern gestanden seien. Dies paßt mir vortrefflich zu der von mit in der Cölnischen Stadtverfassung ausgeführten Ansicht über die englischen Ministerialen, welche unzweifelhaft einen höheren Rang und Stand über den häufig vorkommenden Ritterbürgern z. B. in der Corporation der Gewandschneider, einnahmen. Ich habe aber den Namen des Autors überhört und bitte Sie um Angabe desselben, wie des Titels der Abhandlung.

Von der schweren Erkrankung unseres verehrten und geliebten Altmeisters Ranke haben die Zeitungen berichtet. Welcher schmerzliche Verlust steht uns bevor! Ich bitte Sie mir mitzutheilen, was Sie über sein gegenwärtiges Befinden wissen.

Mit herzlichem Gruß
freundschaftlich der Ihrige
Carl Hegel.