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Karl Hegel an Georg Waitz, Erlangen, 4. Februar 1860

Verehrter Freund!1

Mit der Bearbeitung der Nürnberger Chroniken geht es langsamer voran, als ich hoffte. Das in Nürnberg selbst vorhandene Material ist massenhaft. Dr. Kern ist noch damit beschäftigt es zu untersuchen und zu sichten: zugleich suche ich von auswärts herbeizubringen. was möglich und was wir vor der Hand brauchen. Die älteste und interessanteste Chronik von allen Nürnbergern, die von Ulman Stromer, die von Mitte des 14 bis Anfang des 15. Jahrhunderts fortgeht, habe ich selbst in Arbeit genommen. Besonders viel Schwierigkeit macht bei diesen deutschen Chroniken die Feststellung des Textes, weil hier die verschiedenen Handschriften in dem sie den Text in Rechtschreibung, Stellung der Sätze usw. mit großer Freiheit behandeln, weit mehr variiren, als dieß bei den der Fall ist: unmöglich kann man hier eine vollständige Variantensammlung geben, man muß die beste oder eine der besten Handschriften zu Grunde legen und bei den Varianten eine taktvolle Auswahl treffen. Gute Kenntniß der Sprache ist dazu unumgänglich erforderlich. Sie fehlt meinem übrigens sehr fleißigen und gewissenhaften Gehülfen. Ich brauche deshalb noch einen zweiten, der gar nicht Historiker von Profession, aber ein Sprachgelehrter sein muß, und ich bin gegenwärtig im Begriff mich bei den Autoritäten des Fachs nach einem solchen zu erkundigen.2 Können Sie mir einen nachweisen, so werden Sie der Sache und mir einen guten Dienst leisten: wäre er nebenbei auch historisch gebildet, um so besser, aber das ist nicht Hauptsache, da wir für die historische Seite der Bearbeitung ausreichen.

Hiernach erscheint es eigentlich überflüssig, wenn ich mich doch noch bei Ihnen nach dem Privatdocenten Dr. Cohen erkundige, von dem ich beiläufig und unter der Hand gehört, daß er nicht abgeneigt wäre, in eine unserer Unternehmungen3 einzutreten. Ich vermuthe kaum, daß er der rechte Mann wäre, um das was uns abgeht zu ergänzen: auch als Historiker kenne ich ihn nur dem Namen nach; doch bitte ich Sie mir vertraulich Ihr Urtheil über ihn mitzutheilen, ich werden davon nur für mich Gebrauch machen.

Der 8. Band der Quellen und Erörterungen, worin die Chronik von Schürstab, ist immer noch nicht erschienen. Ich kann mich immer noch nicht darin finden, daß ich diese Chronik gleich wieder im ersten Bande meiner Sammlung abdrucken lassen soll, wie die Commission gewollt hat; doch werde ich mich dem höheren Willen wenn auch ungern fügen. Wegen des Streits über die lateinischen und deutschen Lettern denke ich an ein Compromiß: ich kann mich nicht dazu entschließen Texte aus dem 14. Jahrhundert mit deutschen Lettern drucken zu lassen, sie nehmen sich in diesen gar zu sonderbar und ungewöhnlich aus und lassen sich, wenigstens für uns, in der That schlechter lesen als in lateinischen; für das 15 Jahrhundert kann man den deutschen Druck schon eher gelten lassen. Was meinen Sie dazu? – ich glaube nicht, daß ich die Abstimmung der Commission in dieser untergeordneten Angelegenheit, welche dem Ermessen des Herausgebers überlassen bleiben sollte, als schlechthin maßgebend zu verehren habe.

Von der großen Geschichte der Wissenschaften habe ich nach dem letzten Circular, worin wir zu Vorschlägen aufgefordert wurden, nichts weiter vernommen; auch nichts von Ihren historischen Abhandlungen, deren allerhöchste Bestätigung erst noch von einer weiteren Auskunft über den Umfang abhängig gemacht wurde. Die allerhöchste Stelle4 scheint noch von einer zweiten geheimen Commission berathen zu sein. –

Ich bitte Sie Thöls und Hansen zu grüßen: den letzteren verlieren Sie gewiß sehr untern. Sie wissen, daß unsere Berufung Merkels5 nicht an seinem guten Willen, aber an unserer Finanzlage und anderen Umständen gescheitert ist; ich hätte ihn persönlich sehr gern hier gehabt. Ihr Schwager, den ich gestern Abend beim Bubenreuther Fuchsenbrennen sah, und seine Frau sind wohl auf. Leben Sie gleichfalls wohl,

Leben Sie wohl. Freundschaftlichst
Herzlichst
der Ihrige
Carl Hegel.

P. S. Sybel hat an Voigts Stelle6 Weizsäcker genommen, wie Ihnen wohl schon bekannt ist.