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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 19. September 1842

Lieber Hegel!

ich habe absichtlich mit meiner Antwort auf Deinen vorletzten Brief1 gewartet, bis ich erfahren, wie Dein Roman ablaufen würde; denn nachdem ich Dich, so viel an mir lag, über Alles orientirt hatte, wollte ich weder zu- noch abrathen. Daß die Sache nun so gekommen, wie Du schreibst, ist mir eigentlich lieb, denn ich glaube nicht, daß Ihr so recht für einander gepaßt hättet, und bei Deiner gegenwärtigen Stellung an Heirathen zu denken, ist doch ein etwas gewagtes Ding. Ob Du ganz die rechte Mitte zwischen zuvorkommender Freundlichkeit und abgemeßener Haltung in Deinem Benehmen eingehalten, ist eine Frage, die sich aus der Ferne nicht beantworten läßt. Eine Zeitlang ist wohl Dein Benehmen etwas auffallend gewesen, und ob Du, namentlich wenn das Mädchen2 sich für Dich zu intereßiren schien, Dich nicht entschiedener, etwa durch eine Reise hättest zurückziehen sollen, will ich nicht entscheiden. Nach meiner Ansicht muß man in solchen Fällen strenge gegen sich seyn, und sich vor den Fallstricken hüten, die auch hier der Egoismus der armen Seele zu legen weiß. Ich sage Dir dieß ohne Arg, und besonders deswegen, weil durch Deinen letzten Brief3 das Bewußtseyn der Schuld ein wenig durchblickt; sonst muß jeder so etwas mit sich selbst ausmachen.

Deine Arbeit über den Dante4 kann gewiß sehr intereßant werden; spinne Dich nur nicht zu sehr in den Vorstudien ein, – davor mußt Du Dich gewiß hüten. Warum hast Du die lombardische oder toskanische Städteverfaßung5 wieder aufgegeben? Das Buch von Dönniges6, welches übrigens, einige Partien abgerechnet, ganz verfehlt ist, hätte dazu wohl einen neuen Anhalt geben können? – Über den Macchiavelli scheint mir Gervinus’ Abhandlung schon das Wesentliche zu enthalten7, und ich zweifle fast, ob es räthlich ist, den Mann unserm Publikum zu nahe zu bringen. Bei aller Ehrfurcht vor seinem Geist und Charakter, – er hat doch ein Element in sich, was jeden ehrlichen Deutschen von ihm ablaßen muß, und durch seine Bestrebungen schimmert zuweilen ich möchte sagen, die Consequenz der Hölle hindurch. Auch ist er, so viel ich ihn kenne, kein Mann der That gewesen, und die brauchen wir vor Allem.

Du willst von Gervin und Dahlmann wißen? – Von Ersterem hatte ich einen Brief aus der Zeit, als Dahlmann bei ihm war, – herzlich, freundlich, annähernd. Sie haben eine schöne Reise mit einander gemacht, und Gervinus freut sich vor allem über Dahlmanns Eingehen auf seine Projecte. Doch kommt es mir fast vor, als wenn sie im Verkehr mit Dahlmann schon einen etwas ruhigeren Charakter angenommen haben. Mit mir scheint er noch nicht recht zu wißen, wie er daran ist. Offenbar hat ihm Dahlmann Manches Nähere über meine Projecte mitgetheilt, und es mag ihm nun nachträglich eingefallen seyn, daß ich doch auch wohl für mich etwas Würdiges unternehmen und ausführen könnte. Denn er schreibt, wenn er meinen Plan recht faßte, so sey das ja gerade ganz in seinem Sinne, und ich arbeitete dann eben mit für seine Projecte. Es komme ihm nicht auf eine bestimmte Thätigkeit an, sondern auf die Richtung im Allgemeinen perge!perge!. – So ist er nun; man sollte denken, er hätte meine früheren Briefe gar nicht gelesen. Ich grolle ihm aber deswegen nicht, und habe ihm geantwortet, wir wollten den Hader hinter uns laßen, und in unsere Leistungen die Entscheidung legen. – Übrigens klagt er über körperliches Unbehagen; er hätte sich geknickt, und habe nicht mehr die alte Lebensfrische. Hoffentlich ist das nur die temporäre Einwirkung des heißen Sommers gewesen; ich wenigstens mag nicht daran denken, daß wir diesen Feuergeist verlieren sollten, ehe seine ganze Kraft dem Vaterland zu Gute gekommen.

Ich lebe hier still und fleißig noch. Von meiner Arbeit ist die historische Einleitung fertig, in der ich eine Übersicht der Deutschen Rechtsgeschichte in ihrem Zusammenhang mit der politischen Entwicklung der Nation gebe. Jetzt bin ich dabei, die Grundzüge meiner Ansichten darzulegen, und ihre Abweichungen von Savigny, dessen Rechtslehre in ihrer romanisch-gelehrten Tendenz ich wohl so ziemlich den Boden ausschlagen werde.8 – Ehe ich das Manuscript9 in die Druckerei schicke, wünsche ich noch einmal mit Dir über Einiges zu conferiren; und ich werde Dich dann, etwa in den Weihnachtsferien, hercitiren. – An eigentlichem Herzensverkehr will sich hier für mich noch nicht viel zeigen. Auch mit Baumstark geht es nicht recht mehr; seine alten Tücken, die ich mir nun einmal nicht gefallen laße, kommen wieder zum Vorschein, und Eifersucht gegen mich, zu der er ohne meine Schuld durch mein Verhältniß zum Minister und zu den hiesigen Machthabern Veranlaßung gehabt, reitet ihn auch wohl. Das giebt dann kleine Verdrießlichkeiten, die ich aber durch ein bestimmtes Benehmen zu beseitigen wißen werde.

Was Du über Rostock und die dortigen Sachen und Persönlichkeiten schreibst, finde ich10 erfreulich. Wunderlich mußt Du seine Grappen nicht zu hoch aufnehmen; ansonsten11 ist er doch gut und brav, und ohne allen Grund darf er seinen Namen 12 führen. – Daß Deiner lieben Mutter der Aufenthalt in R[o]st[ock] so gut bekommt, freut mich sehr. Empfiehl mich nebst meiner Frau ihr bestens. – Schreibe bald einmal wieder und halte mich auf dem Laufenden mit Euren Sachen. An die Freunde die besten Grüße, denen sich für Dich meine Frau anschließt. Max und Sophiechen machen sich prächtig heraus, und Stannius wird später ohne Schaamerröthen sich schon einem Vergleich seines Jungen mit dem Meinigen gefallen laßen können. Vale.

Treulichst
Dein GeorgBeseler