Mit meinen Aussichten und Plänen ist wieder eine bedeutende Veränderung vorgegangen. Ich habe von Rostock aus einen Ruf als Professor des deutschen Rechts erhalten, und denselben angenommen: Michaelis gehe ich an den Ort meiner neuen Bestimmung ab.2 Sie können sich denken, daß es mir nicht leicht geworden ist, von dem schönen Lande, den freien Verhältnißen und der interßanten Lage mich loszusagen; aber ernstere Gründe haben auch entschieden. Hier muß ich mich mit dem römischen Recht plagen und in Rostock habe ich nur deutsches Recht und Staatsrecht zu lesen, meine Lieblingsmaterien; hier stehe ich auf einem fremden Boden, wenn auch auf einem befreundeten: dort im Vaterlande wirke ich unmittelbar in meiner Richtung fürs Vaterland; hier ist die Universität fast nur auf den schwachen Besuch der Stadtkinder beschränkt, und namentlich die juridische | Facultät fast ohne Studenten: dort habe ich, wenn auch nur eine kleine, doch eine gesicherte Zahl von Zuhörern. Was soll ich es doch nicht auch etwas anschlagen, daß ich der Heimath näher komme und meinen liebsten Freunden? Ich habe mir im Süden noch keine Heimath bereitet, und stehe noch lose und frei; wie ein Studiosus; was ich in meiner norddeutschen Weise von den beweglicheren Brüdern im Süden kennen lernen und mir aneignen konnte, das glaube ich, ist geschehen; jetzt kehre ich zum Norden zurück, und mein Ruhm soll es seyn, wenn ich nicht als Norddeutscher, sondern als Deutscher zurück kehre.
Meine Stellung in Rostock ist gut: 800 rheinischeflorin 2/3. festes Gehalt, 200 rheinischee florin 1/3. für meine Wittwe (Gott schütze mich davor, wenn auch nicht vor einer lieben Hausfrau), die Umzugskosten in mein Belieben gestellt. Doch hätte mich diese Verbesserung nicht zum Abzug bestimmt, schon weil man bereit war, mich hier durch Geldopfer zu halten. – Also lebe wohl, o Schweiz, Land der Berge und der Freiheit !
Schweres Herzens verlaße ich Deine gesegneten Fluren, – und immer werde ich Euch die Anmaßung zum stolzen | Selbstgefühl und zum Vertrauen auf eigene Kraft danken, o Schweizer aber mein Vaterland konntet Ihr mir nicht ersetzen; von seiner Größe und Herrlichkeit habt Ihr keinen Begriff! Ihr zehret vom Gut Eurer Väter, wir aber wollen unsern Enkeln Güter erwerben; bei Euch hemmt Egoismus und Engherzigkeit den Schwung der Seele, uns aber befähigt die Macht der Ideale zu einer humanen und nationalen Begeisterung. Wie sind eine Nation, Ihr seyd nur ein Staatenbund; wir einigen uns, Ihr zerfallet! – –3
Ich habe eine rechte Freude daran, lieber Hegel, wenn ich mir denke, daß wir so nahe bei einander seyn werden. Ich hoffe Sie bald einmal in Rostock zu sehen, und auch für mich wird Berlin einen meiner ersten Ausflüge in Anspruch nehmen. Vorläufig laßen Sie uns es nur so einrichten, daß wir uns im Herbste am Rhein oder etwa auch in Göttingen treffen4; ich werde Ende September abreisen, und zwar rheinabwärts nach Cölln gehen, und von da nach Amsterdam oder nach Göttingen?. – Hoffentlich sind Sie dann mit dem Examen5 fertig. Ihr letzter Brief6 hat | mich auch in der Beziehung sehr gefreut, daß ich daraus Ihr jetziges tüchtiges Streben auf ein bestimmtes Ziel sehe. Gewiß bei Ihrem Sinne wird Ihnen das Beste gelingen: ob im großen oder kleinen Kreise, darauf kommt am Ende wenig an. – Ich finde auch, daß Sie mit Allem fertig seyn müßen, bevor Sie nach Italien gehen.7 (Italia! Italia! auf! Auch Du entweichst mir jetzt ! wie hatte ich mich auf eine Reise dahin gefreut! – ) Nach Gervinus letztem Briefe macht er auch noch keine Anstalten zur Reise, und wird wohl warten bis Sie geschürzt sind.8 Sein Befinden beunruhigte mich und was ihm russische Dampfbäder nützen sollen, sehe ich nicht ein. – Lieber Hegel! war für eine vortreffliche Schrift ist seine Historik9; Lessings würdig, und von der Höhe unserer Zeit herunter geschrieben: ich glaube, sie wird durchschlagen. Finden Sie nicht, daß er in seinen Idealen des Geschichtsschreibers dem alten Schlosser zuweilen nahegekommen ist? Wie freue ich mich, diesen Ehrenmann, diesen Eckstein deutschen Geistes wieder zu sehen! –
Antworten Sie bald; geben Sie, mir die Hand auf gute Nachbarschaft, lieber Hegel.
Ihr GBeseler.
1Ort und Datum in dieser Form auf der letzten Briefseite, unten, linksbündig. 2Der Jurist Georg Beseler (1809-1888) war von 1835 bis 1837 zunächst Extraordinarius, dann Ordinarius in Basel, von 1837 bis 1842 ordentlicher Professor an der Universität Rostock, danach in Greifswald und später in Berlin. 3Dieser Absatz wurde von Karl Hegel durch einen senkrechten Strich am linken Seitenrand in voller Absatzlänge hervorgehoben. 4Karl Hegel reiste 1837 von Ende August bis Mitte Oktober im Rahmen einer „Fußreise“ von Berlin aus über den Harz nach Göttingen und über Kassel zurück nach Berlin. Vgl. dazu
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 313-324, hier S. 313, sowie die Briefe: 18370915_01, 18370930_01, 18371013_01 und 18371020_01. 5Damit ist Karl Hegels Examen für das höhere Lehramt gemeint, welches er nach seiner Promotion im März 1838 in Berlin absolvierte. Vgl. dazu
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 51-66.6Bislang noch nicht aufgefunden. 7Karl Hegel unternahm 1838/39 eine Reise nach Italien, wo er auch mit Georg Gottfried Gervinus und dessen Frau Victorie zusammentraf und gemeinsam reiste. Zu den einzelnen Stationen dieser Reise sowie allgemein zur Reisetätigkeit Karl Hegels in dieser Zeit vgl.
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 314, sowie
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 61-87, hier besonders S. 66 f.8Vgl. dazu ebd. 91837 veröffentlichte Georg Gottfried Gervinus seine Monographie über „Grundzüge der Historik“ in Leipzig.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Basel47.5581077,7.5878261Schweizer Stadt am Rhein, circa 150 Kilometer westlich von Konstanz am Bodensee und etwa 70 Kilometer südlich von Freiburg im Breisgau gelegen.
Privatbesitz
.
Privatbesitz1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Lessing, Gotthold EphraimGotthold Ephraim Lessing11857212117291781Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781), deutscher Dichter.
Schlosser, Friedrich ChristophFriedrich Christoph Schlosser11879515517761861Schlosser, Friedrich Christoph (1776–1861), von 1817 bis 1861 ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Heidelberg. Karl Hegel (1813–1901) besuchte während seiner Heidelberger Studienzeit Lehrveranstaltungen bei ihm, womit er dessen Begeisterung für Dante Alighieri (1265–1321) weckte, die ihn Zeit seines Lebens begleiten sollte. Durch Schlosser kam Karl Hegel speziell auch mit der Geschichte in Berührung, die schließlich seine Berufung werden sollte.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
SchweizIn Kantone eingeteilte Republik im Nordwesten der Alpen zwischen Bodensee im Nordosten und Genfer See im Südwesten, an Frankreich, den Deutschen Bund, Liechtenstein, Österreich und Italien grenzend.
SüdenAuf den deutschen Süden bezogen; siehe auch: Süddeutschland.
NordenAuf den deutschen Norden bezogen; siehe auch: Norddeutschland.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
RheinCirca 1233 Kilometer langer, im Schweizer Kanton Graubünden entspringender Fluß im Westen des Gebietes des Deutschen Bundes, von der Schweiz, durch den Bodensee, am Ende durch die Niederlande fließend und in die Nordsee mündend.
Göttingen51.5328328,9.9351811Circa 100 Kilometer südlich von Hannover und südwestlich des Harzes gelegene Stadt mit einer 1737 eröffneten Universität.
Köln50.938361,6.959974Auf eine römische Gründung zurückgehende alte Reichs- und Erzbischofsstadt am Rhein, nach französischer Herrschaft ab 1815 eine Stadt des Königreiches Preußen, etwa 90 Kilometer nördlich der Provinzialhauptstadt Koblenz gelegen.
Amsterdam52.3730796,4.8924534Hauptstadt des Königreichs der Niederlande, etwa 650 Kilometer westlich von Berlin gelegen.
ItalienDie in der Form eines Stiefels als Apeninnen-Halbinsel ins Mittelmeer hineinreichende Landschaft von den Alpen bis Sizilien war politisch bis ins 19. Jahrhundert vom Nebeneinander einer Vielzahl von Staaten und von Fremdherrschaft geprägt. Im Zuge der italienischen Nationalbewegung (Risorgimento) kam es erst 1861 zur Gründung des Königreiches Italien als eines Nationalstaates mit König Viktor Emanuel II. (1820-1878) an der Spitze.
Michaelis (Michaeli)Michaelistag als Fest des heiligen Erzengels Michael und aller Engel nach römisch-katholischer, anglikanischer und teilweise auch protestantischer kirchlicher Tradition am 29. September.
Recht, römischesIn der Antike gebildetes Recht, welches sich zunächst in Rom herauskristallisiert hatte, um sich später im ganzen römischen Reich zu verbreiten und auch noch bis in die Gegenwart nachzuwirken.
römischZu Rom gehörend, auf Rom bezogen, Rom zuzuordnen.
Deutsch/deutsch, Deutsche/r; DeutschesAuf die deutschen Staaten bezogen, den deutschen Staaten zuzuordnen, zu den deutschen Staaten gehörend; deutschsprachig; deutsche Sprache; Angehörige/r der deutschen Staaten, Deutschlands.
StaatsrechtJuristische Teildisziplin, die sich mit dem Aufbau des Staates und seinen Organen befasst, mit ihren Beziehungen untereinander und der Gesetzgebung, sowie überdies mit den grundlegenden Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und seinem Einflussbereich unterworfenen Personen.
VaterlandHeimatland, Geburtsland.
StudiosusStudent, Studierender.
Norddeutsch, Norddeutsche, NorddeutscherBegriff für den nördlich gelegenen Teil des deutschen Gebietes bzw. der Menschen, die darin leben, welcher in verschiedenen Kontexten (geographisch, linguistisch, historisch, kulturell, wirtschaftlich, politisch etc.) Verwendung findet, ohne dass dabei das Gebiet eindeutig bzw. auch hinsichtlich des jeweiligen wissenschaftlichen Gebrauchs einheitlich definiert ist; es kommt daher auch zu Überscheidungen mit anderen Definitionen innerhalb des deutschen Raumes (z. B. mit Mittel-, West-, Ostdeutschland); oftmals bezieht sich dieser Begriff auch auf das Norddeutsche Tiefland, wo früher allgemein die niederdeutsche Sprache gesprochen wurde.
Florin, florin (fl.)Gulden, von 1849 bis 1936 Silbermünze zu zwei Schilling; siehe auch: Gulden.
HausfrauAus dem deutschen Sprachraum stammender Begriff „(hūsvrowe“) aus dem Spätmittelalter als Synonym für verheiratete Frau, welcher auch durch rechtsgeschäftliche Urkunden belegt ist. Das männliche Pendant dazu, „Hausmann“ („hūsman“), entstand in etwa im 16. Jahrhundert und steht für: „Hausherr, Hausbewohner, Mietmann, Burgwart“ auch im Sinne eines männlichen Vorstandes größerer ländlicher Haushalte („Hausvater“ von dem lateinisch-antiken „pater familias“). Das traditionelle bürgerliche Familienideal, wie es sich im 19. Jahrhundert im Zuge der Emanzipation des Bürgertums mit den entsprechenden Rollen- und Moralvorstellungen in Abgrenzung zum Adel etabliert hatte, differenzierte sich innerhalb der bürgerlichen Welt in die innere, häusliche, in der die Frau ihren Wirkungsbereich hatte, und die äußere, in welcher der Mann als Ernährer und Versorger agierte, dem die zu Hause wirkende Frau auch hinsichtlich alle das Eheleben betreffende Angelegenheiten rechtlich untergeordnet war. Im 19. Jahrhundert, vornehmlich im gehobenen Bürgertum, also auch im Bildungsbürgertum, war der Begriff „Hausfrau“ überdies Synonym für „Hausherrin“ als Haushaltsvorstand mit, je nach individueller, finanziell-wirtschaftlicher Lage, entsprechendem Personal für alle darin anfallenden Arbeiten einschließlich – wenn das Ehepaar Kinder hatte – der Kinderbetreuung und -erziehung durch Kinderpflegerinnen oder -mädchen, im Großbürgertum auch in Analogie zum Hochadel Gouvernanten und Hauslehrer oder Erzieher. Die Hausarbeit an sich wurde dabei häufig in die sogenannte grobe (z. B. das mühselige, körperlich anstrengende Waschen von Hand mit Waschbrett, Kochen, Putzen etc.) und feine (z. B. Sticken, Blumen arrangieren etc.) differenziert. Im süddeutschen Raum ist der Begriff „Hausfrau“ heutzutage auch noch üblich in Anlehnung an die Bedeutung des alten „Hausmann“ („hūsman“) als Synonym für „Vermieterin“ vornehmlich eines möblierten Zimmers („Zimmerwirtin“).
Gut, GüterLandgut, Großgrundbesitz mit den dazugehörenden Gebäuden unter landwirtschaftlicher Prägung; Eigentum (materiell oder geistig); Frachtgut und Stückgut, zu transportierende Ware oder zu transportierendes Stück; Stoff, Material als Wirtschafts- und Produktionsgut.
Russisches Dampfbad (Banja)Eine der finnischen Sauna ähnliche Badeanstalt mit sehr hohen Temperaturen (auch über 100° C) und hoher Luftfeuchtigkeit, deren Besuch bei bestimmten Krankheiten eine heilende Wirkung haben kann.
Historik (Gervinus)1837 in Leipzig erschienene Publikation Georg Gottfried Gervinus’ (1805-1871) unter dem ganzen Titel: „Grundzüge der Historik“; zugleich Synonym für Geschichtswissenschaft sowie für die Lehre von der historischen Methode der Geschichtswissenschaft und den Teilbereich der Geschichtswissenschaft, der sich mit den Grundlagen des Fachs (Methodik, Quellenkunde, Hermeneutik etc.) beschäftigt.
GeschichtsschreiberHistoriker; auch Synonym für: Chronist.
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Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis