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Georg Beseler an Karl Hegel, Basel, 30. Juni 1837

Liebster Hegel!

Mit meinen Aussichten und Plänen ist wieder eine bedeutende Veränderung vorgegangen. Ich habe von Rostock aus einen Ruf als Professor des deutschen Rechts erhalten, und denselben angenommen: Michaelis gehe ich an den Ort meiner neuen Bestimmung ab.2 Sie können sich denken, daß es mir nicht leicht geworden ist, von dem schönen Lande, den freien Verhältnißen und der interßanten Lage mich loszusagen; aber ernstere Gründe haben auch entschieden. Hier muß ich mich mit dem römischen Recht plagen und in Rostock habe ich nur deutsches Recht und Staatsrecht zu lesen, meine Lieblingsmaterien; hier stehe ich auf einem fremden Boden, wenn auch auf einem befreundeten: dort im Vaterlande wirke ich unmittelbar in meiner Richtung fürs Vaterland; hier ist die Universität fast nur auf den schwachen Besuch der Stadtkinder beschränkt, und namentlich die juridische Facultät fast ohne Studenten: dort habe ich, wenn auch nur eine kleine, doch eine gesicherte Zahl von Zuhörern. Was soll ich es doch nicht auch etwas anschlagen, daß ich der Heimath näher komme und meinen liebsten Freunden? Ich habe mir im Süden noch keine Heimath bereitet, und stehe noch lose und frei; wie ein Studiosus; was ich in meiner norddeutschen Weise von den beweglicheren Brüdern im Süden kennen lernen und mir aneignen konnte, das glaube ich, ist geschehen; jetzt kehre ich zum Norden zurück, und mein Ruhm soll es seyn, wenn ich nicht als Norddeutscher, sondern als Deutscher zurück kehre.

Meine Stellung in Rostock ist gut: 800 rheinische florin 2/3. festes Gehalt, 200 rheinischee florin 1/3. für meine Wittwe (Gott schütze mich davor, wenn auch nicht vor einer lieben Hausfrau), die Umzugskosten in mein Belieben gestellt. Doch hätte mich diese Verbesserung nicht zum Abzug bestimmt, schon weil man bereit war, mich hier durch Geldopfer zu halten. – Also lebe wohl, o Schweiz, Land der Berge und der Freiheit !

Schweres Herzens verlaße ich Deine gesegneten Fluren, – und immer werde ich Euch die Anmaßung zum stolzen Selbstgefühl und zum Vertrauen auf eigene Kraft danken, o Schweizer aber mein Vaterland konntet Ihr mir nicht ersetzen; von seiner Größe und Herrlichkeit habt Ihr keinen Begriff! Ihr zehret vom Gut Eurer Väter, wir aber wollen unsern Enkeln Güter erwerben; bei Euch hemmt Egoismus und Engherzigkeit den Schwung der Seele, uns aber befähigt die Macht der Ideale zu einer humanen und nationalen Begeisterung. Wie sind eine Nation, Ihr seyd nur ein Staatenbund; wir einigen uns, Ihr zerfallet! – –3

Ich habe eine rechte Freude daran, lieber Hegel, wenn ich mir denke, daß wir so nahe bei einander seyn werden. Ich hoffe Sie bald einmal in Rostock zu sehen, und auch für mich wird Berlin einen meiner ersten Ausflüge in Anspruch nehmen. Vorläufig laßen Sie uns es nur so einrichten, daß wir uns im Herbste am Rhein oder etwa auch in Göttingen treffen4; ich werde Ende September abreisen, und zwar rheinabwärts nach Cölln gehen, und von da nach Amsterdam oder nach Göttingen?. – Hoffentlich sind Sie dann mit dem Examen5 fertig. Ihr letzter Brief6 hat mich auch in der Beziehung sehr gefreut, daß ich daraus Ihr jetziges tüchtiges Streben auf ein bestimmtes Ziel sehe. Gewiß bei Ihrem Sinne wird Ihnen das Beste gelingen: ob im großen oder kleinen Kreise, darauf kommt am Ende wenig an. – Ich finde auch, daß Sie mit Allem fertig seyn müßen, bevor Sie nach Italien gehen.7 (Italia! Italia! auf! Auch Du entweichst mir jetzt ! wie hatte ich mich auf eine Reise dahin gefreut! – ) Nach Gervinus letztem Briefe macht er auch noch keine Anstalten zur Reise, und wird wohl warten bis Sie geschürzt sind.8 Sein Befinden beunruhigte mich und was ihm russische Dampfbäder nützen sollen, sehe ich nicht ein. – Lieber Hegel! war für eine vortreffliche Schrift ist seine Historik9; Lessings würdig, und von der Höhe unserer Zeit herunter geschrieben: ich glaube, sie wird durchschlagen. Finden Sie nicht, daß er in seinen Idealen des Geschichtsschreibers dem alten Schlosser zuweilen nahegekommen ist? Wie freue ich mich, diesen Ehrenmann, diesen Eckstein deutschen Geistes wieder zu sehen! –

Antworten Sie bald; geben Sie, mir die Hand auf gute Nachbarschaft, lieber Hegel.

Ihr
GBeseler.