Du hast sehr recht daran gethan, mein lieber Hegel, daß Du Dich von Deiner Nürnberger Reise2 nicht hast abhalten laßen. Ich weiß in diesem Augenblick nicht einmal ganz sicher, wann Dahlmanns3 in Jena4 ankommen, und würde es auf jeden Fall nicht haben verschmerzen können, Deine Mutter5, die Dich nun so lange laßen muß, um diese schöne Reise gebracht zu haben. Daß Du nur schwanken konntest, zeigt mir Deine Liebe ganz; auch ohne das hätte ich aber nie daran gezweifelt. – Ich mache jetzt schwerlich die Jenenser Reise6; das Nähere findest Du im Briefe an Gervinus angedeutet, der auch für Dich geschrieben ist. – Dir aber, mein Lieber, lege ich es nun recht ans Herz, dieß schöne Jahr nicht egoistisch allein zu verschwelgen, sondern auch mir Armen einige Brosame zufallen zu laßen. – Wegen der Arbeit, die Du wählst, bin ich in Spannung; vergreife Dich nur nicht! Wie wäre es, wenn Du auf Gervini Vorschlag7 eingingest? Kannst Du dieß Unternehmen nicht an eine Beantwortung der neulich von der Akademie8 aufgestellten Preisaufgabe anknüpfen? Das Einzige, was dagegen sprechen könnte, wäre die politische Seite; aber theils würde sie Dich recht in diese Spuhr einführen, theils sind in dieser Beziehung für die neuere Zeit die Vorarbeiten so groß, daß es nicht schwer ist, sich zu orientiren. – Warum ist das 15. Jahrhundert genannt, und nicht das 16te? Soll damit angedeutet werden, daß, im Gegensatz davon, die bisherige politische Entwicklung noch auf einen Luther habe warten laßen.
– Nur Eins bitte ich, mache Dein Jahr in Italien nicht zum Arbeitsjahr, sondern arbeite, sammle nur, so weit der wahre Genuß es erheischt; gewinne Dir eine gemüthliche Stimmung für Dein ganzes Leben! Und nun, mein Freund, χαῖρε !9– Kommst Du durch Basel, so grüß meine Freunde; empfiehl mich Deiner Mutter, und umarme Gervinus cum utere M. N.10
In treuer Liebe
Dein GB.
1Datiert anhand des Poststempels vom 14. Juli in Rostock, in Neustrelitz am 16. Juli gestempelt; Empfangsvermerk von Seiten des Empfängers vom 17. Juli. 2Es handelt sich hier um den Auftakt der Studienreise Karl Hegels nach Italien in den Jahren 1838/39. Zu den einzelnen Stationen dieser Reise sowie allgemein zur Reisetätigkeit Karl Hegels in dieser Zeit
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 314, sowie
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 61-87, hier besonders S. 66 f.3Dies bezieht sich auf die Familie des Historikers und Politikers Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860). Luise Dahlmann (1800-1856), geb. Horn, war die zweite Ehefrau Christoph Friedrich Dahlmanns und Stiefmutter von Dorothea Dahlmann († 1847) aus dessen erster Ehe mit Julie Dahlmann, geb. Hegewisch (1795-1826). Dahlmann hatte aus erster Ehe mit Julie Hegewisch (1795-1826) drei Söhne - unter anderem Hermann Dahlmann (1821-1894), Landgerichtsdirektor in Marburg - sowie Tochter Dorothea, mit der Georg Beseler (1809-1888) eine Zeit lang verlobt war, bevor er die Verlobung löste und später Emilie Karsten heiratete (vgl. hierzu den Brief Beselers an Karl Hegel vom 27. November 1837: Brief 18371127_01). 4Nach Dahlmanns Absetzung in Göttingen im Zusammenhang der Affäre um die „Göttinger Sieben“ zog dieser stellungslos und in finanziell prekärer Lage nach Jena. Trotz Beselers Bruch mit dessen Tochter blieb er dem Vater eng verbunden und bemühte sich, für Dahlmann einen Ruf an die Universität Rostock zu erwirken, was allerdings aufgrund der politischen Umstände nicht gelang. Vgl. dazu hier auch den Brief Georg Beselers an Karl Hegel vom 31. Januar 1841 aus Rostock: Brief 18410131_01, sowie
Kern, Beseler, S. 36 f.5Maria Helena Susanna Hegel (1791-1855), geb. Tucher. 6Beselers Trennung von Dorothea Dahlmann hatte beinahe zu einem Zerwürfnis mit Karl Hegel geführt, der dessen Verhalten missbilligte. Vgl. dazu
Kern, Beseler, S. 64.. 7Karl Hegel kehrte sich unter dem Einfluss Gervinus’ und Beselers seit seiner Heidelberger Studienzeit (1834-1836) immer mehr ab von der Philosophie, um sich der Geschichtswissenschaft zu widmen. Seine Reise nach Italien nutzte er dazu, ein Thema zu finden, mit dem er als Historiker hervortreten konnte. Hierbei standen für ihn verschiedene Projekte – wie die von Gervinus vorgeschlagene „Geschichte der Reformationszeit“ – zur Auswahl. Vgl. dazu ausführlich
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 25-87, hier besonders S. 68 ff.8Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 9Aus dem Altgriechischen = Chaire ! (Sei gegrüßt!). 10In Bezug auf die voranstehende lateinische Wendung hier wohl als Chiffre zu sehen.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Privatbesitz
.
Privatbesitz1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
Kern
, Bernd-Rüdiger: Georg Beseler. Leben und Werk, Berlin 1982.
Kern
, Beseler.
1982
Dahlmann, Friedrich ChristophFriedrich Christoph Dahlmann11852336817851860Dahlmann, Friedrich Christoph (1785–1860), Politiker und Historiker, war von 1842 bis 1860 ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte und Staatswissenschaften an der Universität Bonn, 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1850 Mitglied des Staatenhauses für das Königreich Preußen im Erfurter Unionsparlament.
Horn, Wilhelmine Albertine Luise (Louise), verh. DahlmannLuise Horn, verh. Dahlmann11601453918001856Horn, Wilhelmine Albertine Luise (Louise) (1800–1856), war die zweite Ehefrau des Historikers und Politikers Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), Tochter des dänischen Oberstleutnants Friedrich Bogislaus von Horn und der Sophie Georgine Luise Warnstedt sowie Stiefmutter von Dorothea Dahlmann (1822–1847) aus Dahlmanns erster Ehe mit Julie Dahlmann, geb. Hegewisch (1795–1826).
Dahlmann, Dorothea, verh. Reyscher
Dorothea Dahlmann, verh. Reyscher124275062218221847Dahlmann, Dorothea (1822–1847), war die Tochter des Historikers und Politikers Johann Friedrich Dahlmann (1785–1860) aus dessen erster Ehe mit Julie Dahlmann (1795–1826), geb. Hegewisch, als Tochter des Historikers Dietrich Hermann Hegewisch (1746–1812) und frühere Verlobte des Juristen und Jugendfreundes Karl Hegels, Georg Beseler (1809–1888); seit 1844 war sie verheiratet mit dem verwitweten Rechtsgelehrten und Württemberger Politiker August Ludwig Reyscher (1802–1880), zeitweise ordentlicher Professor der Jurisprudenz an der Universität Tübingen, dessen zweite Ehefrau sie war und dem sie zwei weitere Kinder schenkte.
Tucher, Maria Helena Susanna, verh. HegelMaria Helena Susanna Tucher, verh. HegelMutter Karl Hegels11657082217911855Tucher, Maria Helena Susanna (1791–1855), Ehefrau des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), Mutter Karl Hegels (1813–1901), Schwester Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871), des Vaters Susanna Maria Hegels (1812–1878), Onkels und Schwiegervaters Karl Hegels, Gründer der Tucher-Brauerei in Nürnberg. Siehe auch: Hegel, Maria Helena Susanna.
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Königliche Akademie der Wissenschaften zu BerlinKönigliche Akademie der Wissenschaften zu BerlinKöniglich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Luther, MartinMartin Luther11857544914831546Luther, Martin (1483–1546), in Eisleben geborener deutscher Reformator und Begründer der christlichen evangelisch-lutherischen Kirche.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Dutzendteich49.4260821,11.109641559618446Großer und kleiner Dutzendteich als Teile einer Weiherlandschaft im Südosten Nürnbergs.
Jena50.9281717,11.5879359Residenz- und Universitätsstadt an der Saale, etwa 80 Kilometer südwestlich von Halle gelegen.
Basel47.5581077,7.5878261Schweizer Stadt am Rhein, circa 150 Kilometer westlich von Konstanz am Bodensee und etwa 70 Kilometer südlich von Freiburg im Breisgau gelegen.
Doctor, DoktorDoktor als höchster akademischer Grad und Bezeichnung für jemanden, der einen Doktor-Titel trägt.
Am Kupfergraben (Berlin)Uferstraße entlang des Kupfergrabens als eines Teilabschnitts des Spree-Kanals. Im – nach damaliger Zählung – Gebäude Nr. 4a wohnte der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) mit seiner Familie, danach für einige Zeit auch noch seine Witwe.
cum utereLateinisch für: bei der Verwendung von.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis