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Georg Beseler an Karl Hegel, Rostock, 4. Mai 1841

Lieber Hegel!

ich kann Dir nicht sagen, wie sehr mich der glückliche Ausgang Deiner Angelegenheit erfreut2; ich bin überzeugt, daß ich nicht allein einem Freund einen Dienst erwiesen, sondern auch der Universität genützt habe; und wie schön, daß wir nun wieder in gemeinschaftlichem Streben zusammen halten können. Meine Frau erwidert freundlichst Deinen Gruß, und freut sich herzlich auf Dein Herkommen. Das Beste wird seyn, daß Du Dich im Laufe des Sommers zu uns begiebst, und einmal das Terrain Deiner künftigen Wirksamkeit recognoscirst; eine Schlafkammer und gastfreundliche Bewirthung findest Du bei uns. Hoffentlich ist die Sache zu Pfingsten3 formell geordnet; und dann möchte ein Besuch in den Feiertagen Dir angenehm seyn. – Schultze hat nämlich Recht, daß Boths Anfrage thatsächlich ein urkundlicher Ruf war; allein formell wird derselbe erst erfolgen, nachdem die Regierung4 auf Boths Bericht wegen Deiner Annahme rescribirt hat, was ehestens geschehen wird. Dann geht, und zwar umgehends, die urkundliche Berufung an Dich ab5, und die Sache ist damit auch äußerlich officiell arrangirt. Deine Bestallung wird Dir erst Michaelis bei Deinem Amtsantritt eingehändigt. Bis zu einer weiteren Mittheilung von Both kannst Du daher die Sache geheim halten; später wird sie sich auch ohne Dein Zuthun herumsprechen.6 Eine öffentliche Bekanntmachung Deiner Anstellung von Seiten der Regierung wird wohl nicht sofort erfolgen; das hängt zu Theil von der Expedition in der Regierungsregistratur ab. – Was Deine übrigen Anfragen betrifft, so wirst Du Dir die nöthige Auskunft am Besten an Ort und Stelle holen. Ich bemerke Dir nur, daß für die Bibliothek jetzt verhältnißmäßig gut gesorgt ist, und daß man auch auf Deine Wünsche Rücksicht nehmen wird, so weit es thunlich ist. Dein Specialcollege Türk ist in der Bibliothekscommißion. Er ist ein wackerer und gelehrter Mann, aber ein Sonderling, der seine Kraft in speciellen Untersuchungen aufreibt, und als Docent durchaus keinen Wirkungskreis sich zu verschaffen weiß. Daher steht Dir das ganze Feld der Geschichte offen. Türk hat für diesen Sommer Deutsche Geschichte angekündigt; daher ist es ganz passend, daß Du sie im Winter liest. Statutenmäßig hast Du 10. Stunden zu lesen; doch wird darauf in der ersten Zeit nicht strenge gesehen werden. Oeffentliche Vorlesungen sind hier nicht sehr gebräuchlich und auch nicht nothwendig. Doch wird es gut seyn, wenn Du neben der Deutschen Geschichte ein kleineres Collegium liest; kannst Du nicht die angedeuteten publica in eine Vorlesung zusammenziehen. – eine Art Literärgeschichte der Politik in ihren Spitzen geben? Doch über alles dieses später ein Mehres. – Vor Ende oder Mitte Juli wird der Wintercatalog nicht geordnet.7

Soviel über die Geschäftlichkeiten; weiteren Anfragen von Deiner Seite sehe ich entgegen, und bin natürlich zu allen Aufschlüßen und Diensten bereit. – Dein Brief erwartete mich hier; ich bin erst vor wenigen Tagen glücklich und gesund mit den Meinigen zurückgekehrt. Viel Liebe habe ich in der Heimath8 gefunden; selbst meine früheren Gegner9 zeigten mir ein achtungsvolles Entgegenkommen, das ich aber eben nicht begünstigt habe. Allgemein dankte man mir für die Herausgabe von Lornsen’s Werk10. Es machte einen tiefen, nachhaltigen Eindruck, und kaum ein bedeutenderer Mann studirte es nicht. Dem Volke ist dadurch Stoff zum Nachdenken und eine tüchtige Waffe gegeben; das Andenken des Verstorbenen aber glänzend bewahrt. Denn Du mußt wißen, daß er in seinem Leben ein großartig wirkender Mann war, der der ganzen freiheitlichen Entwicklung der dortigen Verhältniße eine neue Wendung gegeben hat. Manches aus den Beilagen, namentlich die zweite, wird Dir auch Bewunderung abgewinnen11.

Du Armer hast einen herben Verlust erlitten. Rechte und rechne nicht mit der Vorsehung; keine Grübelei über das Unvermeidliche, sondern nur eine edle Resignation führt zur Versöhnung. Daß sie uns nicht zu schwer werde, dafür gab Gott uns Thatkraft und Thränen.

Schreibe mir bald wieder, lieber Hegel, damit wir den uns so schön wie[…]12 Vereinigung schon im vorläufigen Austausch der Gedanken genießen ko[…]13.

Namentlich wünsche ich von Gervinus Leben und Stellung zu hören. – Lieb ist es mir natürlich, daß mein Name in Berlin einen guten Klang hat. Dorthin muß ich einmal; erst dann habe ich das: δο/φ μοι ποῦ στῶ14; ob etwas früher oder später, macht freilich nichts aus. Vorläufig fühle ich mich sehr wohl hier.

Empfiehl mich Deiner lieben Mutter und dem GeheimenRath Schultze.

Dein
GBeseler