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Karl Hegel an Sigmund Hegel, Erlangen, 13. März 1891

Lieber Sigmund!

Wir haben lang auf eine Nachricht von Dir gewartet. Heute, Freitag, kam Deine Postkarte und auch eine von Frau Clara.1 Du Ärmster dauerst mich herzlich. Was ist das für eine langwierige und peinliche Krankheit! Es scheint, daß Du Dich bei ihrer ersten Besserung nicht genug geschont und Dir dadurch einen Rückfall zugezogen hast. Um so größere Schonung ist jetzt geboten. Du wirst gut thun so lange im Krankenhaus zu bleiben, als bis Du völlig geheilt bist. Das ist ja freilich sehr langweilig und eine schwere Geduldsprobe! Wie sich die Fabrik dazu verhält, hast Du uns noch nicht mitgeteilt. Hoffentlich wirst Du wenigstens Deine Stelle nicht verlieren.

Gib uns wenigstens einmal in der Woche Nachricht.

Sollte nicht gern eine Schwester des Hauses bereit sein, Dir für eine bloße Postkarte ihre Hand zu leihen? Näheres hätte uns Dein Freund Haller mitteilen können, wenn er es nicht verschmäht hätte, uns bei seinem Hiersein zu besuchen. Zeit genug hatte er dazu, denn er war nicht bloß bei den Ansbachern, sondern auch bei Hellwig. Ich begreife dies Benehmen gegen uns nicht.

Luise Lommel erfreute uns durch ihren Besuch mit ihrem Jüngsten, dem Hermännchen. Sie war 10 Tage, vom 2 – 12 dieses Monats bei uns und sah ihre alten Bekannten, die sie der Reihe nach besuchte, wieder. Zuletzt zog sie sich noch einen Katarrh zu, sonst ging es ihr gut. Sie ist von hier nach Nürnberg gegangen, um auch dort die Verwandten zu besuchen. Die große Prinz Regentenfeier in München ließ sie gern vorübergehen. Von unserer Universität ging auch die sogenannte kleine Deputation dorthin. Die Allgemeine Zeitung ist voll von Beschreibung der Festlichkeiten. Auch bei uns wurde die Feier des 70jährigen Geburtstags mit Reden und Gesängen im Redoutensaal begangen; ich verfehlte nicht dabei zu sein.

Am vergangenen Sonnabend Abend kam Georg herüber um Luise zu sehen und blieb am Sonntag. Es war ihm schmerzlich, daß wir Hellwigs nicht zu uns einladen konnten, wie es zuerst meine Absicht war, und noch mehr, daß er sie nicht besuchen durfte. Denn es war notwendig auf das üble Gerede Rücksicht zu nehmen, welches in der Stadt in höheren und niederen Kreisen verbreitet und selbst bis München durchgedrungen war. Der Ruf der jungen Frau wurde dadurch bedenklich in Frage gestellt, und es gab schlimme Nachbarn und Aufpasser, welche jeden Schritt des Verkehrs von beiden Seiten controlierten und darüber ein böses Gerücht machten und verbreiteten.

Unserem Georg kann ich keinen Vorwurf deshalb machen, es sei denn, daß er alle andern gesellschaftlichen Rücksichten gegen den ausschließlichen Umgang mit Hellwigs hintansetzte. Das hat sich schwer auch an ihm gerächt; an seine Zurückversetzung hierher ist nicht mehr zu denken.

Beneke ist endlich Doctor geworden und hat sich von uns verabschiedet. Er war noch einige mal bei uns, Sonntags mit W. Brockdorff, Ulrichs Bruder, zusammen. Letzterer ist jetzt Hauptmann geworden und nach Bamberg versetzt.

Marie läßt Dich herzlich grüßen. Hoffentlich finde ich Dich, wenn ich bis zum 8. März2 nach Berlin komme, wenn auch vielleicht noch nicht ganz geheilt, doch auf sicherem Wege der Genesung. Behalte nur guten Mut und Geduld!

Treulich
Dein Vater Hegel

P. S. Frau Hellwig, die ich heute sah, läßt Dich herzlich grüßen; er wird heute Abend von München, wo er als Prokanzler bei der Deputation war zurückerwartet.