Eure liebevollen Briefe und Glückwünsche haben mir sehr wohl gethan, weil ich darin aufs neue Eure herzliche Liebe zu mir erkannt habe. Auf Euch, wie auf Euren Geschwistern hier, ruht der Segen Eurer theuren Mutter, an die ich in den vergangenen Tagen mit Euch viel gedacht habe. Ihr Todestag1, der mit der Jahreswende zusammenfällt, verstärkt für uns nun wieder die ernste Mahnung, die schon in dieser liegt, die Mahnung vor allem, für uns die kurze Zeit unseres Daseins zu allem Guten zu nutzen und das Wesentliche und Unvergängliche immer vor Augen zu haben.
Euer Weihnachtsfest war durch Dein Unwohlsein, liebe Anna, einigermaßen getrübt, doch ist Dir doch die Hauptfreude, Deine Kinder am Christbaum zu sehen, nicht versagt worden. Es ist ja auch ein günstiger Umstand, daß Sophiechen Dir die Sorge für das Hauswesen zum theil abnehmen konnte. Mögest Du nur recht auf die nöthige Schonung achten, damit die verwünschte Krankheit sich nicht wieder einstelle. Unser Ceule2, der erst seit kurzem aufgestanden ist, wird noch lange damit zu thun haben, bis er sich ganz erholt; jetzt bekommt er täglich 4 Mal Fleisch in verschiedenen Arten und Gestalten! Wie Sophie schreibt, geht es doch gottlob auch Dir schon wieder besser; und ebenso gern habe ich von ihr gehört, daß Felix seinen guten Schlaf in Leipzig wiedergefunden hat. Habe ich es nicht schon früher gesagt? nur so hoffe ich auch immer noch, daß das Leipziger Klima dem lieben Otto besser als das Münchener zusagen wird.
Unser Weihnachtsfest ist von uns wie sonst begangen worden, bei Lommels mit großem Kinderjubel und bei uns im Hause still, aber auch mit Freude, die besonders erhöht wurde durch die Öffnung des kleinen Koffers aus Leipzig. Für Eure schönen und willkommenen Gaben sollt Ihr auch meinen besten Dank haben. Felix und Du, für den neuen Band der Ahnen3 von Freytag, den wir bereits abends vorzulesen begonnen hatten, Du und Sophiechen für den trefflichen Marzipan in schönen Figuren, den Ihr trotz allem so gut zu Stande gebracht habt. Die Geschwister werden sich selbst bedanken, Mariechen die so viel, jetzt wieder mit der morgen beginnenden Wäsche, zu thun hat, sobald sie Zeit findet. Alles ist wohl bei uns und im Lommel’schen Hause, auch Luise wieder ganz frisch, da sie gut schläft und noch nicht, so viel ich weiß, in der Hoffnung ist.
Seit gestern ist Frost bei uns eingetreten und der Kanal ist schon mit einer glatten dünnen Eisfläche bedeckt. Wie ist in Leipzig die Gelegenheit zum Schlittschuhlaufen? Hast Du, Sophiechen, Deine Schlittschuhe mitgenommen, oder sollen wir sie Dir schicken? Manche Neuigkeit haben wir Euch freilich nicht mitgetheilt, wer denkt auch an alles? so hast Du Sophiechen erst auf dem Professorium hören müssen, daß ein neuer Professor der Theologie, Kolde aus Marburg, zu Ostern zu uns kommen wird: er war seit 6 Jahren verlobt und kann jetzt heiraten, wird als sehr abgearbeitet aber auch als liebenswürdig geschildert. Die gute Frau Schmid, die ich gestern und Zezschwitz besuchte, läßt Dich Anna, herzlich grüßen; sie sprach mit vieler Freude von Deinem Besuch; es geht ihr besser und ich habe sie heute im Schloßgarten getroffen.
Mache Dir keine Sorge, mein liebes Sophiechen, über Deine nächste Zukunft; ich denke nicht daran, Dich den Sommer über nach Berlin zu schicken, wozu doch auch erst eine Einladung von dort kommen müßte, sondern nur zum Besuch Dich dorthin mitzunehmen: so kannst Du Deine Stunden und Deinen jugendlichen Verkehr in Leipzig ruhig fortsetzen, auch wohl noch Johanna Thiersch aus England zurück wiedersehen; was hättest Du auch viel durch einen so kurzen Aufenthalt in Leipzig gewonnen, wenn Du Deine Stunden so bald wieder abbrechen müßtest! Was Du jetzt lernst, mußt Du ordentlich lernen, damit Du für das Leben davon wirklichen Nutzen hast.
Wir gehen jetzt, – es ist Sonntag Abend 8 Uhr – alle zu Lommels; gestern Abend waren sie bei uns; am Sylvester Abend hielten wir uns still für uns.
Ich schicke Dir, liebe Anna, für diesen Monat wieder 100 Mark, womit Du auszureichen meinst, und grüße herzlich Deinen Mann, Euch meine lieben Töchter und Deine, Annas, Kinder.