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Karl Hegel an Christoph Friedrich Stälin, Erlangen, 25. Oktober 1872

Theurer Freund!

Sie haben uns dies Mal im Goldenen Bären, in der Akademie und überall gefehlt! Wir treuen Kameraden insbesondere, Wegele und ich, haben Ihrer oft gedacht und Sie schmerzlich vermißt. Noch öfter haben gewiß Sie sich zu uns im Geiste hierher versetzt! Ich danke Ihnen für Ihren freundschaftlichen Brief1, der mir dann einen schmerzlichen und rührenden Beweis gab. Wie beklage ich, daß Sie, der sonst so Rüstige und Unermüdliche, sich lange Zeit hindurch für die gewohnte Arbeit untauglich fanden! Stumpf, welcher unmittelbar von Ihnen herkam und mich sogleich Morgens auf dem Zimmer begrüßte, brachte mir die letzte Nachricht von Ihnen. Er verfehlte Waitz, den er suchte und der an demselben Tage zu Ihnen gereist war. Durch Waitz wissen Sie bereits, was wir in der historischen Commission Gutes und Schlimmes erfahren haben. Schlimmes, daß mit Ihnen die verehrten Häupter Ranke und Pertz ausblieben, sodann die bedrängten Finanzen. Übrigens sah ich beide, Ranke und Pertz, kurz vorher in Berlin, wo ich die Hochzeit der Tochter meines Bruders mitfeierte. Ranke sah recht wohl aus und war geistig frisch wie sonst; er hatte nur vorübergehend eine Kolik gehabt und scheute den Rückfall. Auch Pertz fand ich besser als im vergangenen Jahr, nun gekräftigt durch längeren Sommeraufenthalt in Wales.2

Ich schreibe Ihnen noch von München aus, wo ich leider noch bis zur nächsten Woche aushalten muß, beschäftigt durch die allerverdießlichste Arbeit bei den Prüfungen der Lehramtscandidaten.3 Dabei habe ich die beste Gelegenheit zu erfahren, wie es hier zu Lande mit dem Studium der Geschichte bei den künftigen Gymnasiallehrern bestellt ist. Einer wußte nichts von Napoleon I zu sagen, ein Anderer kannte außer der Schlacht bei Leipzig keine andere aus dem Jahre 1813 und wußte nicht wie der König von Preußen in dieser Zeit, ebenso wenig wie die früheren, seine Vorgänger außer Friedrich dem Großen, hießen, ein dritter wußte nichts von dem bairischen Kurfürsten Karl Theodor usw. Solcher Stumpfsinn kommt von dem bairischen Laster des Kneipens, und unsere Jugend wird nicht besser werden, wenn es nicht möglich ist, sie in schärfere Zucht zu nehmen. Übrigens ist es jetzt die ernstliche Absicht des Ministers von Lutz, eine Oberschulbehörde einzurichten, wobei unserem trefflichen Secretär, nun königlicher bayrischer wirklicher Geheimrath von Giesebrecht, dem Vielgewandten, gleichfalls eine Hauptstelle, vielleicht als Vorsitzender, zugedacht ist!

Ein neuer Band Städtechroniken, Nürnberg IV4, kommt jetzt eben zum Abschluß – Chroniken aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts von Kern bearbeitet.

Nun leben Sie wohl, theurer Freund! Gott schenke Ihnen Gesundheit! Ich bitte bald wieder um Nachricht über Ihr Befinden. Meine Empfehlung an Ihre verehrte Frau Gemahlin.

Treulich
Ihr
Kamerad Carl Hegel.