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Karl Hegel an Friedrich Weech, Erlangen, 9. Januar 1861

erhalten und beantwortet 10./I. 611

Geehrter Herr Doctor!2

Ihre neueste Mittheilung hat mich im hohen Grade überrascht. Befremdlich war sie mir zunächst aus dem Grund, daß sie so spät erfolgt ist, nachdem Sie bereits mit Dr. Lexer ohne mein Vorwissen die Einleitungen zu der beabsichtigten Edition3 getroffen. Wie soll ich mir dies Stillschweigen deuten? es kann kaum ein absichtsloses gewesen sein. Habe ich so wenig Vertrauen von Ihnen verdient? Haben Sie mir angemerkt, daß ich Ihnen oder irgend einen meiner Mitarbeiter eine Ehre oder einen Vortheil mißgönne? Oder haben Sie aus einem andern Grunde einen Einspruch von mir erwartet?

Doch dazu haben Sie mir jetzt noch die Gelegenheit gegeben, ohne aber auch nur die Möglichkeit einer Einwendung von meiner Seite mit einem Worte anzudeuten, indem Sie sich nur wegen eines außerhalb unseres Verhältnisses liegenden formalen Bedenkens an mich wenden, worüber Sie „ganz gelegentlich“ meine Meinung wissen wollen.

Das Verhältniß, welches hierbei hauptsächlich in Betracht kommt, ist meiner Ansicht nach folgendes: Es steht keinem Mitarbeiter bei unserem Unternehmen zu, von dem ihre dargebotenen Materialien ohne Weiteres das heißt ohne vorgängige Verständigung für einen andern Zweck Gebrauch zu machen. Ich meine dies ist eine moralische Verpflichtung, die so sehr in der Natur der Sache liegt, das sie keiner weitläufigen Erörterung bedarf. Erst muß also darüber entschieden sein, daß solches Material nicht für unsere Edition zur Verwendung kommen soll, und es ist wohl keine Frage, daß diese Entscheidung an letzter Stelle von mir abhängt. Eine solche ist aber im vorliegenden Falle von mir noch nicht abgegeben worden. Herr Dr. Lexer hat zwar vorübergehend und ganz im Allgemeinen mit mir von der Sache gesprochen, aber nicht in diesem Sinne und nicht als von Etwas, das bereits in der Ausführung begriffen sei. Auch setzen Sie selbst nicht voraus, daß ich damit schon bekannt sei oder gar eine Erklärung darüber abzugeben hätte.

Diese muß ich mir auch jetzt noch ausdrücklich vorbehalten. – Der Codex, von dem die Rede ist, ist mir zum Theil bekannt genug: ich fand gleich beim ersten Aufschlagen darin ein Stück, nach welchem ich lange gesucht, welches von der Herstellung der kaiserlichen Burg vor Empfang des Kaisers handelt; ich habe ihn deshalb aus der Merkel’schen Bibliothek herausgenommen und habe ihn an Dr. Kern übergeben, um ihn genauer zu untersuchen und ihn eventuell für die von ihm zu bearbeitende Parthie der Chroniken zu benutzen. Das war seine Bestimmung, daß er auch in Ihre Hände gekommen ist und daß Sie sich mit ihm beschäftigt haben, war mir bisher noch nicht bekannt und ist auch gleichgültig. Denn wenn Sie auch allein ihn entdeckt hätten und allein seinen Werth erkannt hätten, so würde doch die erste Frage immer die sein, ob er für unsere Arbeit ganz oder theilweise zu gebrauchen wäre, ehe an eine andere Verwendung gedacht werden dürfte. –

Hochachtungsvoll
der Ihrige
Hegel.