Lieber Hegel! Dadurch, daß ich an Julius Friedländer, meinen sorgsamen Wegweiser durch die herrlichsten Gefilde und bedeutsamsten Städte Italiens, so eben einen langen Brief geschrieben, ist mir der Inhalt von dem, was ich Ihnen zu sagen hätte, vorweggenommen, und ich mag nicht dasselbe wiederholen. Daher weise ich Sie an ihn; er wird Sie bald nach Empfang dieser Zeilen ohne Fehl aufsuchen. Sie finden in ihm einen braven Menschen, der sich dieß gottgesegnete, von den Menschen vielfach unerreichte Paradies mit seinen unzähligen Bäumen und Säulen des Erkenntnisses recht verständig angesehn. Ich für mein Theil möchte keinen Antheil haben an dem Paradiese, ohne den Baum der Erkenntniß, wär‘ es auch um den Preis des erträumten Paradieses selbst. Und wer kommt zur Erkenntniß, ohne den Verlust des Paradieses? – –
Viel hab‘ ich an Sie gedacht auf meiner inhaltreichen, vorläufig nur viermonatlichen Südfahrt zu Wasser und zu Lande – vor Allem in Florenz. Lassen Sie nicht zu viel Zeit hinrauschen über Ihre dortigen Forschungen!2 Es ist etwas Wesentliches um das Festhalten des vollen frischen Eindrucks. Ich verlasse Venedig nicht wieder auf längere Zeit, ohne mich vollends hier herausgelebt zu haben, als Gegengewicht und beruhigendes Befriedungsmittel des Herausgelebten. Fühl‘ ich doch schon jetzt, nach diesen wenigen Monaten, was es heißt: Embarras de richesse3 durch gewaltige neue Eindrücke. Solche können allerdings, und werden sicher mit der Zeit, wenn erst bewältigt, Mitstreiter; anfänglich aber wirken sie zerstörend gegen die Hauptmasse; darum führ‘ ich meine Phalanx jetzt in ernster Sammlung ungetheilt gegen die Hauptveste, und weiche nicht, bevor ich jedes Fort erobert, und beruhigt auch auf längere Zeit abziehn kann. Denn nur das ganz und gar und ohne Rückstand Gewonnene bleibt uns treu. –
Auf die neue Ausgabe der Philosophie der Geschichte4 wart‘ ich immer noch vergebens und habe deshalb gestern erst wieder an den deutschen Buchhändler nach Triest geschrieben. Ich bin sehr begierig darauf und werde mich mit Eifer drüber hermachen, sollt‘ es auch, wenn, was wahrscheinlich, der Tag alsdann unabweislich hingenommen ist, Nächte kosten. – Kennen Sie Coletta, Storia di Napoli5 – ? – ein herrlich Werk, den edelsten und wertvollsten aus dem Alterthume an die Seite zu stellen. – Da ist Gesinnung, Inhalt, Form, Alles aus Einem Gusse, Alles beseelt und durchdrungen durch den Geist der Wahrheit. „Und die Wahrheit wird Euch frei machen.“6 Viele solche Männer, und Italien wäre, was es seyn sollte, seyn könnte. –
Bei Euch – bei uns, darf ich sagen – denn unser ist, wobei wir wahrhaft sind – geht es ja herrlich her, und nachhaltig und aufrichtig, wie es scheint. Diese Aufrichtigkeit, dieß Sich Einesmachen mit dem Gesammtvaterlande im Geist und in der Wahrheit, wird Preußen, wird Deutschland die herrlichsten Früchte tragen. Auch wird das mehr und mehr anerkannt; in Rom, wo wir kurz nacheinander das Geburts- und das Huldigungsfest (15. Oktober)7 und den Tag der Leipziger Schlacht8 feierten, beide in gehobenster Gesamtstimmung, hat sich das auch recht deutlich offenbart. Es sind mir diese Stunden unvergeßliche Denksteine, eben weil nicht vorüberziehende Stunden, sondern Zeichen dessen was da ist, seyn kann und, kommt die Zeit, gewißlich sich offenbaren wird. Alt und Jung beseelte nur ein Geist, der Geist der Eintracht und das Gefühl der Kraft in gegenseitigem Vertrauen. Für dieses Eine in der mannigfachsten Gliederung zu wirken sind wir, dacht‘ ich, alle mit dem was an uns ist mehr als jemals jetzt berufen. –
In Neapel erkundigte sich Madame Renz (die Mutter des Predigers) mit herzlichem Antheil nach Ihrer trefflichen Mutter und freute sich der guten Kunde, die ich gemäß Ihrem … Briefe geben konnte; ihrem mir dringend aufgetragenen Gruße schließt sich der meine auf das herzlichste an. – Wer sonst zu grüßen, wissen Sie. Darüber auch das Nähere im Brief an Julius Friedländer, der dieß Blatt in jeder Hinsicht ergänzen mag. – Ist Moritz …9 in Berlin? Ich hab‘ ihn lieb gewonnen während seines Venezianeraufenthalts, und die Verwirklichung seines Verfahrenchens würde mich erfreuen. Ob auch von Ihnen die Erfüllung – freilich nicht Ihres Versprechens, doch meines zuversichtlichen Hoffens.
P. S. (Lassen Sie sich auch dießmal den Besuch meines geweihten Plätzchens vor dem Hamburger … empfohlen seyn – warum nur dessen fraglicher … gar nichts von sich hören läßt? – Ich bin ja auch in seiner, wenn auch der Zahl nach geringen Schuld, und möchte sie gern berichtigen.)