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Karl Rosenkranz an Karl Hegel, Königsberg in Preußen, 7. Januar 1840

Welche große Freude Sie mir mit Ihrem Brief gemacht haben, wird Ihnen dieser Brief zeigen. Ich muß aber, indem ich das erstemal an Sie schreibe, bemerken, daß ich der schlechteste Briefschreiber von der Welt bin. Ich komme damit in keine Ordnung, welche in sogleich druckfähiger Eleganz aufträte, sondern sprudele ganz so, wie im mündlichen Umgang, so daß, wer mich nur nach dieser Form der Mittheilung beurtheilen wollte, mich, weil sie ganz in den Zufall übergeht, oft zu niedrig, mitunter auch, bei glücklichen Improvisationen, zu hoch, insbesondere gar nicht für den ruhig nachdenklichen, sogar planvollen Menschen nehmen würde, der ich im Arbeiten wirklich bin. Also im Voraus Verzeihung für alle Arten von Nachlässigkeit und Buntheit. Der Hotho ist’s schon gewohnt und versteht mich zu interpretiren.

Vor Allem Herzlichen Dank und dann ad rem!

Ich habe das Leben Ihres Vaters, dem ich mein geistiges danke, zu schreiben übernommen2; ganz instinctmäßig. Ich bin der Rechte dazu. So hat’s an mich kommen müssen, denn ich bin in meiner ganzen Entwicklung formell der umgekehrte Hegel und so bin ich wohl, ihn zu fassen, gemacht. Die Arbeit über Kant, die nun vorliegt3, hat mir den Muth gegeben, es auch mit Hegel zu wagen, nur daß sich von selbst versteht, daß die Darstellung seines Systems, insofern es als das Werk seines Lebens erscheint, hier das secundäre Element wird, während nun dies bei Kant das primäre war. Ich werde daher zugleich Hegels Apologet sein, denn die Kritik seiner Philosophie liegt nicht nach der Seite hin in meiner Aufgabe, nach welcher sie selbst in der Schule sich weiter fortentwickelt.

Himmlisch ist es nun freilich, daß ich von dem äußeren Leben Hegels gewiß weniger weiß, als der geringste unter den Berliner Hegelianern. Aber das kümmert mich nicht, das ist nicht die Sache. Hotho ausgenommen, habe ich doch in seinem Leben vielleicht am Erschöpfendsten gelebt. Ich habe schon den Vorschlag gemacht, die Berliner sollen ein Album anlegen, Witze, Züge, Urtheile, prägnante Wendungen Hegels zu sammeln.

Daß so viel Briefwechsel existiren, ist über allen meinen Erwartungen, himmlisch. Nach meiner Vorstellung muß derselbe immer integrirt werden, wenn ein recht lebendiges Bild entstehen soll. Das kahle Abdrucken 1, 2, 3 usw. ist noch nicht die rechte biographische Fassung. Also Schelling, Niethhammer, Marie Hegel, Briefe von Verschiedenen sind da. Sollte dann aber der St. Clair auf immer verloren sein? Kann man nicht durch die Zeitung etc. etwas dafür thun? Wissen Sie das Wie dieses Verlustes?

Den Cevennenkrieg4 von Crisalin5, so nannte sich St. Clair, und Hölderlins Werke habe ich expreß nur angeschrieben. Auch Waiblingers Werke, worin eine Biographie Hölderlins6, in welcher aber Hegels keine Erwähnung geschieht. Auch Paulus Erinnerungen7 habe ich mir angeschafft und aus Schwaben ein eigenes Studium zu machen angefangen, denn es ist doch wahrhaftig nicht gleichgültig, daß Hegel von da in der Diagonalen durch Deutschland sich fortbewegt hat, von einem urdeutschen Stamm bis zu germanisirten Slaven. – Über die Tübinger Zeit besitze ich eine gute Correspondenznachricht. Schelling könnte darüber viel sagen. – Das Buch von Kapp besitze ich schon lange.8 – Über Hegel in Heidelberg bin ich durch Hinrichs sehr genau unterrichtet; theilweise auch durch Daub. Ich habe eine Collectanea angelegt, denen ich viel Beiträge wünsche.

Bei dem Ausarbeiten der Propädeutik9 sehe ich, was die Anschauung von Hegels Manuscripten hilft. Ich bin zwar durch viele Abhaltung sehr ins Stocken gekommen, kann mich jedoch nicht enthalten, schon die ersten 100 Seiten anbei zu schicken. Lassen Sie den Druck nur anfangen. Ich verspreche, daß in der Woche, in welcher ich den ersten Probebogen bekomme, das übrige Manu Skript folgen soll. Diese Propädeutik wird zwar vielleicht nicht direct bei den Schülern eingeführt werden können, aber für alle Gymnasiallehrer ein unentbehrliches Muster sein, wie man’s anzufangen hat, und ich spreche schon einmal die Meinung aus, daß mit ihr sich auf unseren Gymnasien vielleicht eine ganz neue Epoche des philosophischen Unterrichts datiren kann. Besonders wird die Logik gewinnen. Wegen des Religionsunterrichtes bemerke ich noch, daß ich ein Blatt gefunden habe, welches gewiß die weitere Ausführung der abstracten Skizze enthält, eine schematisirte christliche Religionsphilosophie, worin sehr denkwürdige Aeußerungen z. B. daß es läppisch und erbärmlich sei, aus aeußeren Umständen an der Geschichte Christi zu zweifeln, wiewohl die Auferstehung und Himmelfahrt desselben dem Glauben als innere Geschichte angehören, wobei Hegel sich auf die Aeußerung des sterbenden Stephanus beruft, daß an Gottes Herrlichkeit und Christus sitzend zu seiner Rechten erblicke.

Ich bitte, dem Drucker sorgfältige Aufbewahrung des Manuscripts10 zur Pflicht zu machen, denn ich brauche wohl nicht zu sagen, daß viel Zeit und Mühe in der Arbeit steckten. Was ich, wie jenes Schema, nicht in das Systematische mit aufnehmen konnte, werde ich, wo es sich lohnt, in meiner Vorrede zur Sprache bringen, worin ich zeigen will, welch‘ eine seltene Gunst uns diese Papiere aufbehalten hat, da die sogenannten Propädeutiken meist von Ignoranten, die kaum ein Interesse an der Speculation haben, verfertigt werden. Besonders schön ist die subjective Logik abgehandelt.

Von denjenigen ManuSkripten, welche nun besondere Delicatesse der Benutzung heischen, bescheide ich mich gern, nur in Berlin Einsicht zu nehmen. So etwas drückt mich auch nur im Hause. Den Briefwechsel + Schelling möchte ich aber gern bis Mitte März haben, denn den kann ich nicht früh genug auf mich wirken lassen, da es hier ein fundamentales Verhältniß gibt. Auf jeden Fall aber wäre eine Abschrift gut. Mit solchem Kopieren ist’s immer ängstlich. Papier ist zu vergänglich. Sollte der Briefwechsel mit Niethhammer mir auch hierher mitgetheilt werden können, so wäre es mir, um in Baiern noch genauer einzudringen, auch sehr wichtig. Vor Allem sehne ich mich aber dann zunächst nach der Bamberger Zeitung und will gern Porto und Emballage für dieselbe zahlen, wenn ich sie nur recht bald her haben kann. Sie wissen nicht, wie auf mich so etwas wirkt. Ihr Vater ist einer der größten politischen Weisen gewesen, wie er denn auch sein selbstbewußtes productives Leben gerade von der ersten Revolution bis zur Julirevolution11 hin durchgeführt und alle chrakteristischen Entwicklungsmomente, Constitution12, Reformbill13, Feier der Augsburger Confession14 mit eigenen Arbeiten begleitet hat. Und was sollte man, als er in Bamberg war, anders thun, als durch die Zeitung berichten, was geschah, denn es geschah damals alle Tage etwas, wie jetzt nichts. Und was sollte man während der eisernen Suprematie Napoleons anders thun als die Jugend durch Unterricht und Erziehung zu einem höheren Leben heranbilden? Es ist für mich ein wunderbares Schauspiel, Hegel, der das Christenthum so innig erfaßt hatte, nicht weniger vom Geist Griechischer Milde und Heiterkeit durchdrungen zu sehen. Er ist der concret totale Mensch der neuen Zeit. Sehen Sie, so war St. Clair, der das mittelalterig Christliche in Schillerscher Weise zum Gegenstand machte, so war Hölderlin, der Hypergrieche, sein Freund, so der priesterliche Marheineke und der philologische Johannes Schulze usf.

Das Normative kann bleiben zur Biographie. Da Hegels Brief an Niethhammer darüber schon gedruckt ist, so bin ich im Wesentlichen orientiert. Später muß ich es haben, auch die Programme, der Bestimmtheit halben. – Die Reise in’s Berner Oberland, das Tagebuch (das Lateinische), die Fragmente, Hefte etc. spare ich für Berlin. Die Gedichte könnte ich wohl nicht abgeschrieben erhalten?

Mit was für einer Dissertation hat denn Hegel das Doctorat der Philosophie erworben? Daran hat auch noch keiner gedacht. Das müssen doch die Acten in Tübingen, wo er promovirt ward, aussagen.

Ganz kurze Memoiren (was Hegels Vater für Posten bekleidet, wer sein Hauslehrer gewesen, wann er getraut worden, welche Krankheiten er bestanden, welche Farben, Speisen, Gerüche, Kleidungen er geliebt und Ähnliches) könnte die Mutter Nebenius, Karl Friedrich immer aufschreiben. Sie sollte doch bedenken, wie wir uns freuen, von den Alten so etwas zu wissen zb. z. B. Aristoteles. Zeigen Sie ihr einmal Stahr’s Aristotelia.15

Wann und wie ich nach Berlin komme, hängt davon ab, ob es sich bis Ostern16 entscheidet, wer nach Heidelberg kommt. Kapp suchte durch die Großherzogin sich dort zu placiren. Mich wollte Nebe- nius haben und ich könnte mir nichts Gescheuteres denken, Hegels Leben zu schreiben. Überhaupt stehe ich hier doch sehr abgeschnitten und einsam. Doch Deus vult!

In Erwartung, von Ihnen bald ein Wort über die Propädeutik zu hören, mit der innigsten Empfehlung an Ihre Frau Mutter Ihr ergebenster Karl Rosenkranz.