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Alfred Reumont an Karl Hegel, Florenz, 9. Mai 1875

Verehrter Herr Professor

Ihre willkommene Zuschrift vom 15. vorigen Monats ist mir hier zugegangen1, wo ich wie gewöhnlich bei meinem alten blinden Freunde, der in seinem Geschichtswerke ein merkwürdiges Zeugniß geistiger Frische abgelegt hat, den Frühling verbringe. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß ich über die Dino Compagnifrage viel vernommen habe und vernehme – nicht von meinem Gastfreunde, der dieselbe abgethan, in der that auch nicht ernstlich studirt hat, so daß man besser gethan hätte, von seinem Urtheil das doch nur auf allgemeine Anschauungen und Eindrücke nicht auf Kritik der Thatsache beruht, nicht so viel Aufhebens zu machen, wohl aber von Fanfani, DelLungo, Quarti2. Ersterer träumt nur von Dino, und treibt die Polemik nun zum Ueberdruß. Er weiß von Geschichte wenig, während er in grammatikalischen Dingen scharfsinnig ist; gerade in letzter Beziehung aber gehen die Gegner ihm jetzt sehr scharf zu Leibe. DelLungo druckt an seiner ganz umgearbeiteten neuen Auflage, aber sehr langsam, und es ist mir nicht gelungen von ihm zu erfahren, wie er seine verheißenen Demonstrationen, zB. inbetreff Ludwigs ex Savoyen, unterstützen denkt. Meine Zweifel sind immerfort stark – manche Stellen lassen sich wol nicht retten. Den Magliabechischen Codex habe ich mir genau angesehen und hege nicht den geringsten Zweifel an dessen Datum, wodurch SchefferBoichorsts Vermuthung, an sich schon höchst abenteuerlich, ganz wegfällt. Fanfanis Meinung, man habe mit diesem verschiedene Quattrocentosachen zugleich mit der Chronik enthaltenden, von derselben Hand geschriebenen Codex darin Stradino einen Possen spielen wollen, ist aber nicht minder abenteuerlich. In der Note von Stradino’s Hand steht deutlich Noferi (i. e. Duofrio) Buscini. Ueber Stradino weiß man sehr wenig, und ich habe auch von DelLungo nichts von Belang in Erfahrung bringen können. Kurz vor meiner Abreise von Bonn hatte ich, mit der Literärgeschichte der Zeit Cosimo’s I. mich beschäftigend, Nachrichten über ihn gefunden und notiert, habe ich hier jedoch ungeachtet allen Kopfbrechens und Nachsuchens, mich nicht zu entsinnen vermacht, wo? nachweislich bei Mellini über Cosimo (Herausgeber, von Mouni), auch bei Scezziner Studio fiorentino, noch im Osservatore des Castri, die Alle des Stradino nur kurz gedenken. In gedachten Nachrichten stand daß der Stradino in seiner Jugend im republikanischen Kriegsdienst gewesen, später ungestört in Florenz gelebt und einen Kreis jüngerer Leute um sich versammelt habe, ein heiterer Genosse und unermüdlicher Erzähler. Cronaca haben auch andere geheißen, die genau von Erlebtem und Vernommenem berichteten, so Simone del Pollaiolo der berühmte Erbauer des Palazzo Strozzi. Den Beinamen Cronicania zum Buch des Dino in Wechselbeziehung bringen zu wollen, dünkt mich absurd.

Mit Ihren Bemerkungen über die Stellung mancher Italiener zur ganzen Frage stimme ich überein. Studirt haben die Wenigsten dieselbe, während die meisten dem Fanfani Beipflichtenden unbekannte Leute sind. Del Lungo’s Langsamkeit (er ist freilich vielbeschäftigt) macht jedoch daß die Ansicht von der Unächtheit Raum gewinnt. Etwas Antitrusce-Gesinnung bei Nicht-Toskanern trägt auch dazu bei.

Und nun leben Sie wohl. Kann ich Ihnen irgendwie dienen, so verfügen Sie über mich; bis zur zweiten Hälfte Juni bleibe ich wahrscheinlich hier.

Mit aufrichtiger Ergebenheit
der Ihrige
Alfred Reumont