Die Werthschätzung meiner, welcher Sie auf eine für mich sehr erfreuliche Weise Ausdruck zu geben1 sich veranlaßt sahen durch die Nichtbeachtung, die ich bei den letzten allerhöchsten Ordensverleihungen gefunden habe, übertrifft gewiß bei weitem diejenige Anerkennung, welche ich an dem Ort, von dem diese ausgehen, genieße. Die königliche Hoheit des Prinzregenten hatte die Gande, bei der Vorstellung der Professoren an unserer Universität, mich als den Sohn meines Vaters anzusprechen; das ist unzweifelhaft kein Verdienst, das man von Staats wegen noch besonders belohnen soll! Übrigens scheinen jene honores mehr oder weniger zu denjenigen Glücksgütern zu gehören, über deren ungleiche Austheilung man sich nach dem Ausspruch unseres gefeierten Dichters (Inferno canto VII) nicht beklagen soll: vers 91: Qucest’ e’ colei, ché tanto posta in croce … Dandole biasmo a torto e mala voce, ma ella (la Fortuna) è beata e cio’ non ode.
Bei Allem und dem Gegenstande nach so Verschiedenartigen, das Sie, hochverehrter Herr Stiftsprobst, an die Öffentlichkeit hinausgeben, bewundere ich immer aufs neue den Umfang Ihrer Studien wie die Meisterschaft Ihrer Darstellung. Mit doppeltem Antheil habe ich natürlich Ihren Vortrag über Dante als Prophet gelesen und genossen. Neu und nach vielen Seiten hin zum Verständiß des wunderbaren Gedichts betragend ist von vornherein diese schon im Titel des Vortrags bezeichnete Auffassung. Sie haben sodann, wie kein Anderer bisher, das innere Verhältniß des Dichters zu der Sekte der Spiritualen, zu den im Schwange gehenden Weissagungen derselben dargethan und mit Heranziehung der kirchlichen Litteratur der Zeit, die noch kein Commentator der divina commedia so gut gekannt hat, das Verständniß des Gedichts im ganzen und die Auslegung einzelner Stellen desselben gefördert. Vortrefflich finde ich auch gleich anfangs die Bedeutung des Werks nach Inhalt und Composition gewürdigt. Vieldeutig sind in diesem bisweilen die Allegorien, wie ja der Dichter selbst in dem Schreiben an seinen Gönner can della Scala, das ich für unzweifelhaft echt halte, es ausspricht. Ich meine, daß dies ganz besonders auf die Allegorie der drei Thiere im einleitenden Gesang zutrifft. Sie haben ein schweres Geschütz von Argumenten gegen die Deutung des Veltro auf den Can (ein Wortspiel, das freilich wenig beweist), spielen lassen, so daß nur wenig fehlt, um die Überzeugung für die Ihrige zu erzwingen. Dieses Wenige liegt für mich zumeist in den Worten: La sua nazion sarà tra feltro e feltro. Der Ausdruck muß, wenn von niedriger Herkunft verstanden, doch als sehr seltsam und fast burlesk, wie es am wenigsten hierher paßt, erscheinen. Und was bedeutet die niedrige Geburt oder Herkunft bei dem künftigen sittlichen Reformator? man sollte wenigstens vita statt nazione erwarten. Und wie verhält es sich mit dem Gottgesendeten Dux in Pergat. XXXIII, der den Riesen und seine Buhle erschlagen wird? Sehr geistreich unterscheiden Sie ihn von dem Veltro; dieser soll dem Dux durch sittliche Reform den Weg bereiten nach der Joachinischen Weissagung, die Sie treffend citiren. Allein Dante nimmt dort gar keinen Bezug auf solche Vorgänge. Er hat doch seine Erwartung für das Heil Italiens immer auf einen nächsten Kaiser gestellt, zuerst auf Heinrich VII und wenn ihm diese erste Hoffnung verschwand und dessen Nachfolger im Reiche ihm nichts Gutes versprachen, so konnte ihm wohl auch vorübergehend ein mächtiges Gibellinenhaupt als der Retter Italiens erscheinen, als Retter vor der Lupa, die dann freilich nicht bloß den Begriff der Habgier zu bedeuten hat, sondern zugleich die Verkörperung derselben, die Cúria, die Buhle der gallischen Riesen.
Aber auch in dieser Erwartung wie in seinem Urtheil über den Herrn von Verona sah er sich, wie so oft in andern Fällen, getäuscht, und
zuletzt, als er das Paradies verfaßte, verschob er die Zukunft des Heils in unendliche oder unabsehbare Ferne, c. XXVII v. 142.Auf die Meinung der alten Commentatoren über tra feltro e feltro legen auch Sie wohl nur wenig Gewicht; doch für die gewünschte Auslegung von der niedrigen Herkunft möchten sich nur wenige von ihnen anführen lassen: Jacope della Lana und Bilfimo, der ihn ausschreibt, Pertrus Alleghieri, die daneben aber auch die andre von der himmelischen Herkunft tracielo e cielo zur Wahl stellen, welcher letzteren dann Boccaccio, Buti und Andre gefolgt sind.
Vortrefflich finde ich, was Sie über die Mathilde als Personifikation der visionären Erkenntiß und über den Drachen in der Allegori Perg. XXXII, hier übereinstimmend mit Witte, ausgeführt haben, und noch für viele andere Belehrung bin ich Ihnen von Herzen dankbar.