Heute habe ich schon viele Plage gehabt – am Vor- und Nachmittag Seminar – aber ich kann den Tag doch nicht ablaufen laßen, ohne Ihnen einige Zeilen zu senden, die Ihnen morgen die herzlichsten Glückwünsche von meiner Frau und mir überbringen. Ein Geburtstag ist ja immer bedeutsam, aber der, den Sie diesmal feiern, bezeichnet doch noch einen besonderen Lebensabschnitt.1 Es ist der Abend gekommen, wo man ruhen und sich dessen freuen kann, was in der Tage Arbeit und Hitze geschaffen ist. Möge Gott Ihnen einen recht frohen und schönen Lebensabend schenken! Ich habe gestern | noch einen Blick auf die Lange Reihe der Städtechroniken2 werfen müßen – sie allein würde zum Erweise genügen, daß Ihr Leben ein reichgesegnetes gewesen und Sie mit Befriedigung auf die durchmeßene Laufbahn zurückblicken können. Über 20 Jahre sind wir in mannigfachen Beziehungen zu einander gewesen: möge diese Verbindung noch lange fortdauern!
Sie wißen, daß ich mich oft nach dem Ziel sehne, an welches Sie jetzt angelangt sind. Ich bin körperlich nicht gerade leidend, aber die Überlast der Arbeit bedrückt mich oft schwer. Nicht weniger, sondern mehr der Geschäfte habe ich, als ich vor 21 Jahren übernommen, und es ist mir jetzt fast unmöglich an die Arbeiten zu kommen, die mich am meisten | intereßiren. Vor Allem will ich nun das Seminar abgeben, welches mir zu viel Arbeit macht. In der kritischen Abtheilung allein habe ich in diesem Semester wieder 18 Theilnehmer.
Freundschaftlichst Ihr Giesebrecht.
1Karl Hegel (1813-1901) wurde am 7. Juni 1883 70 Jahre alt. 2„Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“, die Karl Hegel für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München herausgab und von denen 27 Bände zu seinen Lebzeiten erschienen. Zur Einführung, kritischen Würdigung und Rezeption vgl. Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, und darin besonders S. 159 ff.
Giesebrecht, Wilhelm FriedrichWilhelm Giesebrecht
HiKo
11871736718141889Giesebrecht, Wilhelm Friedrich (1814–1889), in Berlin geborener Historiker, der 1851 außerordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Königsberg wurde, von 1857 bis 1861 dort Ordinarius und anschließend bis 1889 an der Universität München war. Im Jahre 1858 wurde er Gründungsmitglied der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften und von 1862 bis 1889 deren Sekretär. Im Jahre 1875 wurde er Mitglied der neugeschaffenenen Zentraldirektion der MGH in Berlin und wurde Mitglied des Verwaltungsrates und Gelehrtenausschusses des GNM in Nürnberg.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (StBPK), Berlin
NL Hegel 15, Fasz. IV, 3.
SBPK Berlin1000
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
Historisches Seminar (Universität München)Institutionalisierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Fach Geschichte zur Verbesserung der wissenschaftlichen Ausbildung der Studierenden durch kleinere, differenzierte Lehrveranstaltungen (Seminare, Übungen mit unterschiedlichen Lehr-/Lernmethoden), die im Gegensatz zu Vorlesungen eine verstärkte Interaktion zwischen Teilnehmenden und Lehrenden ermöglicht, welches an der Universität München bereits 1857 gegründet wurde.
Chronik(en), Chroniken der deutschen Städte (Städtechroniken), chronikalische DenkmälerEdition „Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“, von 1862 bis 1899 hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Karl Hegel (1813-1901); auch allgemein: auf die Antike zurückgehende geschichtliche Darstellung, in der die Ereignisse in zeitlich genauer Reihenfolge, dabei aber, im Gegensatz zu den formal strengeren Annalen, in größeren Zeitabschnitten aufgezeichnet werden, auch im Sinne von: Lebensläufen.
Stadtchroniken, Städtechroniken, auch: ChronikenIm Rahmen von Stadtgeschichtsschreibung und -forschung geschriebene, teilweise auch edierte Chroniken von Städten. Karl Hegel (1813-1901) gab im Rahmen seiner Leitung des umfangreichen wissenschaftlichen Editionsunternehmens für die Münchener Historische Kommission „Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“ – angefangen mit seiner Geburtsstadt Nürnberg – solche Städtechroniken heraus.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis