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Karl Hegel an den Schweriner Regierungsrat Karl Friedrich Wilhelm Prosch, Rostock, 23. April 1848

Hochzuverehrender Herr Regierungsrath!
Ew.1 Hochwohlgeboren

danke ich ganz gehorsamst für die Zusendung des Wahlgesetzentwurfs2 und bin ich der damit verbundenen geneigten Aufforderung zum Theil schon zuvorgekommen. Nach meinem geringen Dafürhalten finde ich dasselbe ganz vortrefflich in der Art und Weise, wie darin das schwierige Problem gelöst ist, auf der einen Seite den unumgänglichen Zeitforderungen genug zu thun und auf der anderen Seite zugleich vom ständischen Wesen so viel als möglich zu retten. In der letzteren Beziehung ist von Seiten der Reformvereine immer noch einiger Widerstand zu gewärtigen, aber ich glaube um so weniger, daß dieser noch irgendwie bedenklich erscheinen dürfte, als diese Vereine selbst schon mit Zwiespalt von verschiedenen Seiten her bedroht sind. Ew. Hochwohlgeboren werden erfahren haben, wie viel Mühe es den Leitern unseres hiesigen Reformvereins gekostet hat, um nur die wegen der Freizügigkeit aufgebrachten Handwerker zu beschwichtigen; doch ist der A3 bei diesen zurückgeblieben und gar leicht wieder aufzuregen. Ebenso wollen unsere Kaufleute ihre Interessen bei dem künftigen Zustand der Dinge gesichert wissen und sind daher gegen das wüste Project eines sogenannten reinen Repräsentationssystems entschieden eingenommen, wie ich bei Bekämpfung desselben in einer unsrer früheren Volksversammlungen und sonst zu erfahren Gelegenheit hatte. Auch unter unseren Advocaten sind die besonnenen, und davon sind nicht wenige, dem Treiben unsrer Reformcommittes gänzlich entgegen. Von den übrigen Gelehrten und dem ganzen Beamtenstande brauche ich nicht zu reden, da außer den Wenigen, welche Ihnen bekannt sind, alle Anderen zu den gemäßigten Reformern gehören.

Bei dieser Stimmung nun steht unser Reformcommitte in der That auf sehr schwachen Füßen, indem ihre Stärke nur auf ihrer Thätigkeit und ihrer Verbindung mit den ähnlichen Committes im Lande beruht. Um sie zu Falle zu bringen scheint es nur nöthig, daß die Männer der gemäßigten Partei sich gleichfalls vereinigen und den Radicalen die Spitze bieten. Leider fehlt es auf unsrer Seite, wie gesagt, nicht an Kraft, wohl aber an Entschiedenheit und an Bereitschaft; auch ist man von einigermaßen entmuthigt worden, wenn ich die ganze Wahrheit sagen darf, durch die allzu große Nachgiebigkeit und Nachsicht unsrer Regierung gegen die radicalen Reformer. Deren Unverschämtheit durch jede ihnen bewiesene Gunstbezeugung nur noch mehr gesteigert wird. Entschuldigen Ew. Hochwohlgeboren meine Offenheit mit meinem 4 Eifer für die gute Sache, womit ich mich gleich noch auf andere Weise zu bethätigen gedenke. Es scheint mir nämlich jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo mit dem einmüthigen Handeln von unsrer Seite nicht länger gezögert werden darf. Ich erfahre so eben, daß das hiesige Reformcommitte damit umgeht, gegen den Wahlgesetzentwurf im ganzen Lande durch ihre Freunde zu agitiren und dies veranlaßt mich, einige der geachtetsten Männer aus den verschiedenen Ständen unsrer Stadt, die als Gemäßigte bekannt sind, zu einer Berathung über eine Gegenmaßregel zusammen zu berufen. Ich hoffe, daß es uns nach getroffener Verabredung gelingen wird, in der nächsten Volksversammlung am Mittwoch5 entweder die Committes theilweise in die Luft zu sprengen und ihre Absicht dadurch zu vereiteln, oder wenn sie sich doch mit einem Anhang behaupten sollte, wenigstens einen offen erklärten Bruch im Reformverein selbst herbeizuführen durch Stiftung eines entgegengesetzen Clubbs, dessen erste Äußerung in einer Gegenerklärung gegen die beabsichtigte Adresse bestehen soll. Dies wird dann den Anfang einer gemäßigten constitutionellen Partei bezeichnen, welcher sich, wie ich hoffe, der größte Theil der gebildeten Mittelklasse im Lande anschließen wird und deren Consolidirung zugleich unsrer Regierung neue Stärke verleihen dürfte.

Es war mir Bedürfniß und Gewissenssache mich hierüber gegen Ew. Hochwohlgeboren  auszusprechen, weil ich Grund habe zu bezweifeln, daß unsere Regierung von dem Stande der Dinge hieselbst hinlänglich unterrichtet sei, und weil es mir in diesem Augenblick überaus wichtig erscheint, daß sie es sei.

Die wenigen Artikel, die ich bisher in Beziehung auf unsere Reformangelegenheit veröffentlicht habe, haben mir nicht nur neue Freunde und größeres Vertrauen bei Gleichgesinnten gewonnen, sondern auch die Überzeugung verschafft, daß ich damit der guten Sache wirklich nützen kann; ich werde also umso lieber Ihrer geneigten Aufforderung Folge geben, mit denselben im Sinne meiner unabhängigen Überzeugung fortzufahren. Wenn mir Ew. Hochwohlgeboren ferner anzeigen, daß hohe Landesregierung auf mein Gesuch wegen Verleihung einer ordentlichen Professur mit entsprechendem Gehalt nicht eingehen könne, so schmerzt mich dies hauptsächlich aus dem Grunde, weil ich darin gewissermaßen einen Ehrenpunkt für mich sehe, daß mir eine öffentliche Anerkennung dieser Art nicht länger versagt bleibe und daß ich nicht gegenüber jüngeren Männern, die später als ich gekommen sind, zurückgesetzt scheine, als ob ich eine gleiche Ehre nicht verdiente. Wenn es freilich bei den bestehenden Nominalprofessuren sein Bewenden haben soll, so ist für mich hier keine weitere Aussicht. Andrerseits bin ich jedoch keineswegs gesonnen, der hohen Regierung in dieser Zeit des allgemeinen Drängens eine neue Verlegenheit zu bereiten und unterwerfe ich mich dem Ermessen ohne allen Rückhalt bitterer Empfindungen, indem ich der verheißenen und jedenfalls sehr erwünschten Erhöhung meines Gehalts mit schuldigem Dank entgegensehe.

Genehmigen Sie, hochgeehrter Herr Regierungsrath, die Versicherung meiner tiefsten Ehrerbietung, in der ich verharre Ew. Hochwohlgeboren

ganz gehorsamster
Carl Hegel.