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Karl Hegel an Christiane Hegel, Berlin, [nach 14. Juni] 1825

Liebe Tante!

Der Vater und die Mutter haben uns gesagt daß Du wünschest einen Brief von uns zu bekommen darum wollen wir Dir schreiben. Ich will Dir erzählen wie es bei uns steht.

Die Mutter sagt daß Du Dich für alles intereßirst was bei uns vorgeht. Unsere Mutter ist jetzt sehr wohl, sie war vergangenen Winter sehr krank; wir bekamen damals einen kleinen Bruder, welcher aber nach 24 Stunden starb weil er noch zu klein und zu schwach war. Der Vater ist jetzt auch recht wohl; er hat vergangenen Herbst eine Reise nach Wien gemacht wo er recht vergnügt war und recht viel Schönes gesehen hat. Ich und Imanuel gehen auf das französische Gymnasium. Ich bin jetzt in Quarta und hoffe zu Michaely nach Tertia versetzt zu werden. Die meisten Gegenstände werden in meiner Klasse auf französisch vorgetragen. Die Hauptgegenstände sind: Griechisch, Latein, Religion, Mathematick, Französisch. Unser Director ist Herr Palmié. Außerdem haben wir schon 2 Jahre Klavierunterricht bei Herrn Logier einem Engländer2 von dem Du wohl schon gehört haben wirst, bei welchem 14-15 Schüler verschiedene Stücke gleichzeitig spielen, welche alle zusammenpaßen und wo man zugleich die Theorie des Generalbaßes lernt, wir sind jetzt aber ausgetreten weil Herr Logier wieder nach England ist und haben jetzt Privatunterricht. Am siebenten Juni war mein zwölfter Geburtstag wo ich sehr viel schöne Sachen bekommen habe auch eine prächtige goldenen Uhr von der Großmutter, welche mein Großonkel der Hauptmann Karl von Tucher von Friedrich Wilhelm II dem Vater unsers Königs geschenkt bekommen hat im Jahre 1791, von diesem hat sie mein Onkel Karl bekommen, wie er ihn auf seinem Feldzug nach Rusland in Dresden besuchte, er hat sie bei sich getragen in der Schlacht bei Polatzk3 wo er den 22ten4 August 1812 gefallen ist. Als seine Sachen verkauft wurden kaufte sie ein Soldat vom Regiment und die Großmutter kaufte sie ihm auf dem Rückmarsch über Nürnberg wieder ab und hat die gute Großmutter sie mir geschenkt. Diese Uhr ist mir daher auch sehr lieb und ich werde sie wie ein Heiligthum aufbewahren. Die Großmutter dachte sie mir selbst geben zu können, sie wünschte sehr daß wir zur Hochzeit der Luise kommen sollten aber der Weg ist zu weit und es kostet zu viel. Ich wünsche Dir daß Du gesund bleiben und lieb behalten mögest Deinen

Neffen
Carl Hegel.