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Harry Bresslau an Karl Hegel, Straßburg, 26. Februar 1898

Hochverehrter Herr Geheimrath!

Empfangen Sie meinen aufrichtigsten und herzlichen Dank für die gütige Übersendung Ihrer schönen Buecher. Werde ich auch zu so eingehendem Studium derselben, wie es sich gehört, erst nach Schluß des Semesters kommen, so habe ich doch schon so viel davon gelesen, um aufs lebhafteste zu bedauern, daß die Schrift nicht einige Wochen früher erschienen ist, damit ich sie für meine Vorlesungen über Verfassungsgeschichte, in denen ich im Januar das Städtewesen behandelt habe, hätte benutzen können, und um Ihnen zu dieser neuen Gabe über ein Gebiet, das recht eigentlich das Ihrige ist, meinen aufrichtigen Glückwunsch aussprechen zu dürfen. Was die Radolfzeller Urkunde angeht, so muß ich bekennen, daß mir die volle Echtheit des Wortlauts durch die spätere Überlieferung keineswegs ausreichend verbürgt erscheint. Wenn Schulte jeden Zweifel an der Echtheit ausschließen wollte, weil eine Fälschung nur im Interesse der Bürger hätte liegen können, während die Urkunde durch Mündliche Überlieferung auf uns gekommen ist, so übersieht er, daß, wie Sie mit Recht hervorgehoben haben, der zweite Theil der Urkunde nur die Rechte der Kirchenleute regelt: diese deuten Interpolation oder Fälschung an. Deren Abt1 günstiger zu stellen, konnte wohl im Interesse der Kirche vorliegen. Und die Nennung des Kanzlern Adalbert2 giebt doch einen großen Anstoß, über den ich, je mehr ich über die Sache nachdenke, nicht so leicht hinweg komme wie Schulte. Das Jahr 1100 ist doppelt précaire durch ann. incarn. und Indiction, und eine Aenderung der Zahl würde nicht helfen, da es unter Heinrich IV. ... überhaupt keinen Kanzler Adelberg gegeben hat. An Adalbero (1069-1076) kann nicht gedacht werden wegen des Kaisertitels, und eine Verderbnis des Namens Kunibertus (der 1100 Kanzler war) in Adelbertus angenommen, ist doch palaeographisch kaum möglich. Ebenso willkürlich erscheint mir das Auskunftmittel Schultes anzunehmen, daß Adalbert als niederer Kanzleibeamter schon vor 1106 gewirkt habe: er heißt Kanzler, und von einer Thätigkeit Adalberts in der Kanzlei vor 1106 wissen wir schlechterdings nichts. Endlich ist mir aber auch diese Bestimmung der Kanzler an sich befremdlich: er hätte doch nur im Namen des Kaisers consentieren können, davon aber sagt die Urkunde nichts, sondern sie stellt zwischen regn. Henrico und Friderico duce Adalbert so, als ob dieser ein vollständiges Recht ausgeübt habe, eben wie Heinrich und Friedrich. Kurz, mir scheinen hier doch erheblichere Schwierigkeiten vorzuliegen, als Schulte in der ersten Freude über seinen Fund angenommen hat; und am wenigsten war der Boden, auf dem wir hier stehen, sicher genug fundamentiert, um darauf ein so luftiges Gebäude zu errichten, wie geschehen ist.

Ich würde es außerordentlich bedauern, wenn Sie nicht nach Berlin kommen könnten3, und würde mit einer Verlegung des Sitzungstermins, wenn Ihnen dadurch die Reise ermöglicht wird, sehr einverstanden sein. So hoffe ich dann auf ein baldiges Wiedersehen und verbleibe

mit ergebensten Grüßen
ganz der Ihrige
Harry Bresslau.