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Karl Hegel an Wilhelm Scherer, Erlangen, 8. November 1876

Verehrtester Herr College!1

Nachdem ich von München, wo mich die Prüfungen der Lehramtscandidaten bis zu Ende vorigen Monats aufhielten, zurückgekehrt bin und hier in Erlangen das Decanat der philosophischen Facultät übernommen habe, liegt mir zunächst als die wichtigste Angelegenheit ob, die Vorschläge für die Wiederbesetzung der ordentlichen Professur für deutsche Sprache und Literatur vorzubereiten. Indem ich mich auf unsere Besprechungen in München beziehe, wo Sie so freundlich waren, mir einzelne jüngere Vertreter Ihrer Fachwissenschaft und namentlich Ihrer Collegen, Professor Steinmeyer, für unsere Universität zu empfehlen, bitte ich Sie nun um gefällige nähere Mittheilung über letzteren in Bezug auf seine literarischen Leistungen, seine Docententhätigkeit und Vorlesungen, seine bisherige Laufbahn und sein Alter, damit ich von Ihrem gewichtigen Urtheil sowohl, wie von Ihren Angaben Gebrauch machen kann. Doch vielleicht ist es schon unnütz sich nach Ihrem geschätzten Collegen zu erkundigen; denn ich hörte, daß er bereits mit Sievers2 in Bonn vorgeschlagen sei und vielleicht ist er auch schon berufen. Da Sie dies aber am besten wissen, so mache ich Ihnen jedenfalls keine vergebliche Mühe, denn Sie werden Sie sich sparen, wenn es sich so verhält. In diesem Fall aber, oder auch in dem andern, wenn in Bonn noch nichts entschieden ist, werden Sie mich immerhin verpflichten und unserer Facultät einen Liebesdienst thun, wenn Sie mir die gleiche Auskunft über Sievers, wie über Steinmeyer, so weit es Ihnen möglich ist, geben wollten. Müssen wir zwar hinter Bonn zurücktreten, so werden wir doch einen von beiden haben können. Zwei oder drei sind von Facultät und Senat vorzuschlagen. Es ist bei uns Regel, daß der Senat die Vorschläge der Facultät annimmt und daß das Ministerium den an erster Stelle vorgeschlagenen durch Prorector und Senat berufen läßt. Sie nannten mir noch Schöntag3 in Gratz; auch von Paul in Freiburg war die Rede; letzterer soll jedoch durch Augenleiden gehindert sein; auch Braune in Leipzig ist von anderer Seite empfohlen worden, der aber ist erst Docent und vielleicht noch nicht zum ordentlichen Professor qualificirt. Die Facultät wird keinen außerordentlichen Professor vorschlagen, wobei jüngere Docenten in Betracht kommen könnten. Als solcher hat in diesem Semester Dr. Wagner, Ihr Schüler, einen guten Anfang gemacht; Professor Hoffmann in München hat, nicht veranlaßt durch mich, mit Anerkennung seine Dissertation in einer Prüfung erwähnt; ich wüßte nicht, warum man ihm einen anderen jungen Docenten als außerordentlichen Professor voranstellen und zur Seite setzen sollte! Daran ist, wie ich Ihnen schon in München sagte, gar nicht zu denken. Für jede weitere zur Sache dienende Mittheilung, sei es über die genannten oder noch andere, die nach Ihrer Meinung in Betracht kommen können, bin ich Ihnen zum voraus von Herzen dankbar.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Carl Hegel.