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Karl Hegel an Otto Hartwig, Erlangen, 1. April 1862

Sehr geehrter Herr!

Ich habe absichtlich die Antwort auf Ihre vom 3. März datirte, am 16. März hier angekommene Zuschrift1 verzögert, weil eben in dieser Zeit eine vorläufige Entscheidung in der fraglichen Angelegenheit zu erwarten war, von welcher ich Sie in Kenntniß setzen wollte. Nachdem nun aber die Osterferien2 begonnen haben, wird diese Entscheidung voraussichtlich nicht länger auf sich warten lassen, und so will ich mit meiner Antwort doch nicht länger anstehen, um nicht mein Schweigen einer Mißdeutung auszusetzen. Die erst vorläufig zu treffende Entscheidung nämlich bezieht sich auf die Frage, ob die erledigte zweite Bibliotheksstelle3 überhaupt wiederbesetzt werden soll oder nicht. Sie hat aber bis jetzt noch nicht stattgefunden, weil die förmliche Entlassung von Dr. Rößler auf das von ihm allerhöchsten Orts eingereichte Gesuch – ohne Zweifel wegen der Abwesenheit unseres Königs, der das Entlassungsdecret zu unterzeichnen hat – immer noch nicht erfolgt ist. Sollte man sich für die Wiederbesetzung jener Stelle entscheiden, so glaube ich daß Ihre wiederaufgenommene Bewerbung nun diesselbe gute Aussicht auf Erfolg hätte, da Sie vor einigen Jahren der einzige wirkliche Concurrent mit Dr. Rößler waren und trotz der warmen Fürsprache einiger naher Freunde des letzeren im Senat doch sehr gewichtige Stimmen für sich hatten. Es fragt sich aber, und ich zweifle sehr daran, ob Sie sich gegenwärtig noch unter den günstigen äußren Verhältnissen, in denen Sie sich befinden, um eine so gering dotierte Stelle wirklich bewerben wollen. Sie ist zwar eine mit pragmatischen Rechten, das heißt Anspruch auf Pension und Wittwenpension, verbundene königliche oder Staatsstelle, aber ihr fixes Gehalt beträgt nicht mehr als 700 florin, was eben nur für einen unverheirateten Mann ausreicht, und die weitere Remuneration von 200 florin, welche Rößler vom zweiten Dienstjahr an bezog, müßte alle Mal besonders erbeten und bewilligt werden. Die Aufgabe des zweiten Bibliothekars war und würde es noch ferner sein, da sie freilich noch bei weitem nicht vollendet, sondern erst zum kleinen Theil ausgeführt ist, die Reorganisation unsrer Bibliothek nach dem angenommenen Plan systema- tischer Katalogisirung und Aufstellung der Bücher in Ausführung zu bringen. Mit den laufenden Geschäften, der Anschaffung und dem Ausleihen der Bücher, hat der zweite Bibliothekar nichts zu thun. Der systhmatische Katalog ist zum großen Theil fertig, aber die neue Aufstellung der Bücher nur im historischen Saal durchgeführt, und die mindestens theilweise Erneuerung des alphabethischen Katalogs bleibt gleichfalls noch übrig. Zu den Verdiensten, welche sich Dr. Rößler erwiesen hat, gehört besonders die musterhafte Herstellung und Ordnung einer der Bibliothek angehörigen ganz vorzüglichen Sammlung von Handschriften und Kupferstichen. Gesetzliche Arbeitsstunden sind, wo viel ich weiß, täglich vier, 2 des Morgens und 2 des Nachmittags, sonst keine besonderen Verpflichtungen; aber es war bei der Anstellung des Dr. Rößler Bedingung, daß er nicht zugleich ein Lehramt an der hiesigen Universität versehen dürfe. –

Im Fall Sie nach diesen Mittheilungen dennoch die Absicht haben sollten, sich um die Stelle offiziell bei hiesiger Universität zu bewerben, so würde ich Ihnen allerdings rahten, dies unverzüglich zu thun und die von Ihnen erwähnten wissenschaftlichen Arbeiten mit einzusenden (die über Herrn von Langenstein haben Sie, soviel ich mich erinnere, schon früher vorgelegt), freilich auf die Gefahr hin, daß Sie diesen Schritt ganz vergeblich thun würden, wenn man sich dafür entscheiden würde, die Stellen nicht wieder zu besetzen und die von ihr vorgesehenen Geschäfte auf andere Weise zu vertheilen.

Mit vollkommener Hochachtung ergebenst

Prof. Dr. Hegel.