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Emilie Kapp an Karl Hegel, Heidelberg, 22. November 1836

Verehrtester Freund!

Seit einigen Wochen zurückgekehrt, 2 wohl oft daran, Ihren freundlichen Brief3 zu beantworten, aber ich fand leider bis heute keine Zeit. Ihre Worte erhielten wir in sehr bedrängten Tagen. Unsere Mutter leidet seit Juli dergestallt, daß ich, während unseres Auffenthalts von 3 Monaten auf der Hardt4, mich nur 3 heiteren Stunden zu erinnern weiß. Ja, ich war so sehr in Anspruch genommen, daß ich eigentlich gar keine Zeit hatte, an mich zu denken! Unsere Kinder bekamen gleich vorn herein den blauen Husten, an diesem leiden sie noch, und so fehlte auch von dieser Seite die Sorge nicht. Gegenwärtig befindet sich unsere Mutter hier, zwar getrennt von uns, so erheischt es das Uebel, aber unter directer Pflege von Chelius. Wir sind nicht ohne Hofnung, daß sie genesen wird, aber nur langsam, langsam! – Das ist das Härteste, was mir bisher begegnet – ich gewöhne mich täglich an größere Begebnisse. Die Cholera ist uns nicht mehr fern! – Stirbt der Mensch jedoch in seinem Beruf, und stirbt er in vollem Bewußtsein seines Daseins, nun gut, dann mögen Gräser sich über seiner Hülle entfalten! –

Sie hatten Daub lieb, verehrter Freund, so wurde Ihnen heute durch mich die Nachricht, daß er vor wenigen Stunden entschlafen.5 Ein mächtiges Gefühl ergreift mich jedesmal, wenn ein großer Geist abgeschieden, und zu diesen kann er gerechnet werden. Heute vor 8 Tagen war ich noch bei ihm, und ich erfreute mich seiner kräftigen Leutseeligkeit. Aber altersschwach fand ich ihn, und ich verließ das Haus mit dem Gedanken: den Frühling siehst Du nicht wieder kehren! – Und jetzt ist er schon todt, der ächte Schnee wird seinen Rasen decken. Doch auch das Geistige hat uns nicht ganz verlassen, meines Mannes „Italien“6 brachte reichlich zu thun. In 6 Wochen, hoffe ich, ist es im Buchladen, wenn der Index, der dazu geliefert werden soll, nicht länger aufhält. Es wird etwas stärker werden, als mein Mann anfänglich dachte, und da erscheint es natürlich auch später. Daub sprach noch in den letzten Tagen mit großem, erfreulichen Interesse darüber, mit warmer Liebe, sodaß mein Mann hofft, es werde auch in Berlin nicht mit Uebelwollen aufgenommen werden. Er würde es an Herrn Geheim Rat Schulze senden, wenn er nicht besorgte, daß die Uebersendung lästig erscheinen würde, da die zugeschickte frühere Schrift ohne Antwort blieb. Wir hoffen, Ihre Frau Mutter und Herr Bruder befinden sich in guter Gesundheit. Empfehlen Sie uns Beiden. Unsere Kinder gedeihen jetzt, trotz des Hustens! – Freundlich gedenken wir Ihres hiesigen Auffenthalts. Sie wünschen sich öfters in unsre schöne Gegend zurück, eine solche verlebte Zeit in den Jugendjahren ist ein Panorama für das Leben. In Berlin schafft der Geist, was Rheinlande freiwillig dem Menschen täglich darbieten! –

Finden Sie einmal ein ruhiges Stündchen, so sollte es mich sehr freuen, wenn Sie mir etwas über Ihr Leben und Treiben mittheilen wollten.

Ihres Freundes Frau
Emilie Kapp.